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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel
Autoren: Philip Roth
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eingejagt. Ich denke oft an sie, wo immer sie jetzt auch ist. Völlig unschuldig.«
    »Keine Kinder.«
    »Nein. Keine Kinder. Sie?« fragte er mich.
    »Nein.«
    »Verheiratet?«
    »Nicht mehr«, sagte ich.
    »Dann sitzen Sie und ich also im selben Boot. Frei wie der Wind. Was für Bücher schreiben Sie? Krimis?«
    »Würde ich nicht sagen.«
    »Wahre Geschichten?«
    »Manchmal.«
    »Was? Liebesgeschichten?« fragte er lächelnd. »Hoffentlich keine Pornografie.« Er tat, als wäre das ein unerwünschter Gedanke und als ärgerte es ihn, dass er ihn überhaupt gehabt hatte. »Ich hoffe doch, unser Schriftsteller sitzt nicht in Mike Dumouchels Haus und schreibt und veröffentlicht Pornografie.«
    »Ich schreibe über Leute wie Sie«, sagte ich.
    »Ach, was?«
    »Ja. Über Leute wie Sie. Über ihre Probleme.«
    »Sagen Sie mal den Titel von einem Ihrer Bücher.«
    »Der menschliche Makel.«
    »Ja? Kann ich das kaufen?«
    »Es ist noch nicht erschienen. Es ist noch nicht fertig.«
    »Ich werd's mir kaufen.«
    »Ich werde es Ihnen schicken. Wie heißen Sie?«
    »Les Farley. Ja, schicken Sie's mir. Schicken Sie's, wenn es fertig ist, ans Straßenbauamt. Straßenbauamt, Route 6, Les Farley.« Er verspottete mich wieder, und irgendwie verspottete er alle: sich selbst, seine Freunde, »unseren Schriftsteller«. Obwohl diese Vorstellung ihn zum Lachen brachte, sagte er: »Ich und die Jungs werden es lesen.« Er lachte eigentlich nicht laut, er zupfte vielmehr an dem Köder eines lauten Lachens, er nagte und knabberte an dem Lachen herum, ohne jedoch hineinzubeißen. Nahe am Haken der gefährlichen Heiterkeit, aber nicht nahe genug, um ihn zu verschlucken.
    »Ich hoffe, Sie lesen es«, sagte ich.
    Ich konnte mich nicht einfach umdrehen und gehen. Nicht nach diesen Untertönen, nicht nachdem er fast unmerklich noch ein wenig seines emotionalen Inkognito abgelegt hatte, nicht jetzt, da die Möglichkeit bestand, seine Gedanken noch ein wenig mehr zu erkunden. »Wie waren Sie, bevor Sie in der Army waren?«, fragte ich ihn.
    »Ist das für Ihr Buch?«
    »Ja. Ja.«Jetzt lachte ich laut. Ohne es eigentlich zu wollen, sagte ich in einem lachhaften, derben, dummen Anfall von Trotz: »Das ist alles für mein Buch.«
    Und nun lachte auch er herzhafter. Auf dieser Klapsmühle von einem See.
    »Waren Sie ein geselliger Typ, Les?«
    »Ja«, sagte er. »War ich.«
    »Immer mit anderen Leuten zusammen?«
    »Ja.«
    »Hatten Sie gern Spaß mit anderen Leuten?«
    »Ja. Jede Menge Freunde. Schnelle Autos. Das volle Programm,
    Sie wissen schon. Ich hab die ganze Zeit gearbeitet. Aber wenn ich freihatte, ja.«
    »Und gehen alle Vietnamveteranen fischen?«
    »Ich weiß nicht.« Wieder dieses knabbernde Lachen. Ich dachte: Es fällt ihm leichter, jemanden umzubringen, als sich in wirklicher Heiterkeit gehen zu lassen.
    »Ich hab vor nicht allzu langer Zeit mit dem Eisfischen angefangen«, erzählte er mir. »Nachdem meine Frau weggelaufen war. Ich hab mir eine kleine Hütte gemietet, hinten, im Wald, auf dem Dragonfly. Weit hinten im Wald, gleich am Wasser, am Dragonfly Pond, und bis dahin hab ich mein Leben lang immer nur im Sommer geangelt und mich für Eisfischen nie besonders interessiert. Hab immer gedacht, das ist viel zu kalt. Im ersten Winter da draußen war ich wirklich schlecht drauf - verdammte PTBS -, und da hab ich einen Eisfischer auf den See gehen und angeln sehen. Ich hab ihm ein paarmal zugesehen, und dann hab ich mich eines Tages angezogen und bin hingegangen, und der Typ hatte eine Menge Fische gefangen, Barsche und Forellen und so weiter. Da hab ich mir gedacht: Das ist ja so gut wie im Sommer, wenn nicht besser. Man braucht bloß die richtige Menge Kleider und die nötige Ausrüstung. Also hab ich mir das besorgt. Ich bin in die Stadt gefahren und hab mir einen Bohrer gekauft, einen schönen Bohrer« - er zeigte darauf- »und eine kurze Rute und Köder. Man kriegt Hunderte verschiedene Köder. Hunderte verschiedene Hersteller und Marken. In allen möglichen Größen. Man bohrt ein Loch durchs Eis und lässt seinen Lieblingsköder mit Haken hinunter - es kommt auf die Bewegung der Hand an, man muss den Köder auf und ab hüpfen lassen. Weil es da unten, unter dem Eis, dunkel ist. Ja, sehr dunkel«, sagte er, und zum ersten Mal in unserer Unterhaltung sah er mich zu offen an, zu wenig heimtückisch, zu wenig verschlagen. Als er sagte: » Richtig dunkel«, hatte seine Stimme einen Beiklang, der mich frösteln ließ, einen kalten,
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