Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel
Autoren: Philip Roth
Vom Netzwerk:
wo dein Kumpel ist?‹, und er sagt: ›Na ja, er ist nach da drüben abgetrieben.‹ Also sind wir wieder auf Gefechtshöhe gegangen, aber da wussten sie dann schon, dass wir da waren. Wir sind ein bisschen weitergeflogen und haben nach dem anderen Fallschirm Ausschau gehalten, und dann brach die verdammte Hölle los. Ich sag Ihnen, es war unglaublich. Wir haben den anderen nie gefunden. Der Hubschrauber bekam Treffer, das war nicht zu glauben. Ting, ping, ping, bum. Maschinengewehre. Bodenfeuer. Wir mussten abdrehen und so schnell wie möglich verschwinden. Und ich weiß noch, dass der Typ, den wir gerettet hatten, anfing zu heulen. Das ist das, worauf ich rauswill. Er war Navy-Pilot. Von der Forrestal . Und er wusste, dass der andere entweder tot oder gefangen war, und fing an zu heulen. Es war schrecklich für ihn. Sein Kumpel. Wir konnten nicht noch mal hinfliegen. Wir konnten nicht den Hubschrauber und fünf Leute riskieren. Wir hatten Glück gehabt, den einen zu finden. Also sind wir zurück zur Basis geflogen, und da haben wir uns den Hubschrauber angesehen, und er hatte hunderteinundfünfzig Einschüsse. Keine Hydraulikleitung war getroffen, keine Treibstoffleitung, aber die Rotorblätter waren eingedellt - viele Kugeln hatten die Blätter erwischt. Sie waren ein bisschen verbogen. Wenn der Heckrotor getroffen wird, fällt man runter wie ein Stein, aber den hatten sie nicht getroffen. Wissen Sie, dass im Krieg fünftausend Hubschrauber abgeschossen worden sind? Wir haben zweitausendachthundert Düsenjäger verloren. Zweihundertfünfzig B-52 bei Bombardements aus großer Höhe über Nord-Vietnam. Aber das sagt die Regierung Ihnen nicht. Das nicht. Die sagt Ihnen nur das, was sie will. Slick Willie, den erwischt es nie. Aber der Typ, der in der Army gedient hat, den erwischt es. Immer und immer wieder. Nein, das ist nicht gerecht. Wissen Sie, an was ich gedacht hab? Ich hab gedacht, wenn ich einen Sohn hätte, dann wäre er jetzt hier bei mir. Beim Eisfischen. Das hab ich gedacht, als Sie herkamen. Ich hab aufgesehen, und da kam jemand, und ich war in so einer Art Tagtraum und dachte: Das könnte mein Sohn sein. Nicht Sie, nicht ein Mann wie Sie, sondern mein Sohn.«
    »Sie haben keinen Sohn?«
    »Nein.«
    »Nie verheiratet?«, fragte ich.
    Diesmal antwortete er nicht gleich. Er sah mich an, er peilte mich an, als sendete ich ein Signal aus wie die beiden abgesprungenen Piloten, aber er gab keine Antwort. Weil er es weiß, dachte ich. Weil er weiß, dass ich bei Faunias Beerdigung war. Jemand hat ihm erzählt, dass »der Schriftsteller« da war. Für was für eine Art von Schriftsteller hält er mich? Für einen, der Bücher über Verbrechen wie seines schreibt? Für einen Schriftsteller, der Bücher über Morde und Mörder schreibt?
    »Zum Scheitern verurteilt«, sagte er schließlich, starrte wieder auf das Loch und ließ die Angelrute mit kleinen Bewegungen aus dem Handgelenk etwa ein dutzendmal wippen. »Meine Ehe war zum Scheitern verurteilt. Ich bin mit zu viel Wut und Hass aus Vietnam zurückgekommen. Hatte PTBS. Ich hatte, was man eine posttraumatische Belastungsstörung nennt. Das haben sie mir gesagt. Als ich zurück war, wollte ich keinen mehr kennen. Als ich zurück war, kam ich mit nichts klar, was hier ablief und irgendwie mit dem zivilisierten Leben zu tun hatte. Ich war so lange da drüben gewesen, es war der totale Wahnsinn. Saubere Kleider tragen, Leute, die Hallo sagen, Leute, die lächeln, Leute, die zu Partys gehen, Leute, die Auto fahren - ich kam damit nicht mehr klar. Ich wusste nicht mehr, wie man mit Leuten redet, ich wusste nicht mehr, wie man Hallo sagt. Ich hab mich lange Zeit zurückgezogen. Ich bin in den Wagen gestiegen und herumgefahren, ich bin in den Wald gegangen und da herumgewandert - es war völlig verrückt. Ich hab mich von mir selbst zurückgezogen. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war. Meine Kumpel riefen an, aber ich rief sie nicht zurück. Sie hatten Angst, ich könnte bei einem Autounfall sterben, sie hatten Angst, ich könnte -«
    Ich unterbrach ihn. »Warum hatten sie Angst, Sie könnten bei einem Autounfall sterben?«
    »Ich hab gesoffen. Ich bin herumgefahren und hab gesoffen.«
    »Hatten Sie denn jemals einen Autounfall?«
    Er lächelte. Er hielt nicht inne, um mich anzustarren, bis ich die Augen niederschlug. Warf mir keinen besonders drohenden Blick zu. Sprang nicht auf, um mir an die Kehle zu gehen. Er lächelte nur ein bisschen, und in diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher