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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler
Autoren: Will Lavender
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in der Hand.
    »Professor Alex Shipley?«, fragte sie.
    »Das bin ich.«
    Die Krankenschwester gab Alex den Umschlag und ging.
    »Wirst du ihn öffnen?«, fragte Keller.
    Alex zuckte mit den Schultern und nahm den Zettel heraus.
    Es war von Richard Aldiss. Während Keller sanft neben ihr atmete, las sie.
    Liebste Alexandra,
    dieser blinde Fleck, das letzte Puzzleteil, das war das, was sie getan hat, als sie nach Dumant zurückgekehrt war.
    Ich habe mich selbst dafür bestraft, dass ich an diesem Morgen nicht zu ihr gegangen bin. Es hatte geschneit, alles war weiß, die Straßen waren unpassierbar. Sie und Abigail Murray kehrten auf den Campus zurück, und ich wartete. Ich hatte sie losgeschickt, verstehst du, hatte ihr die Informationen gegeben, die sie brauchte. Alles, alles, was ich bei meiner eigenen Reise nach Iowa mit Benjamin Locke entdeckt hatte, alles, was ich als Wissenschaftler gelernt hatte. Shawna Wheatley brannte darauf, das Rätsel zu lösen. Wie später bei dir wusste ich, dass sie fahren würde.
    Und als sie nach Vermont zurückkam, verbrachte sie die Nacht damit, ihre Abschlussarbeit zu beenden. Das letzte Kapitel, Paul Fallows’ Identität, schrieb sich wie von selbst. Sie hatte alles aufgedeckt. Danach brachte sie das Manuskript, das sie aus dem Haus in der Olive Street gestohlen hatte, zum Kopierzentrum auf dem Campus. Das war ihre letzte Handlung als Studentin.
    Das nächste Mal sah ich sie auf einem Foto. Ihr Gesicht war von einem Buch verborgen. Auf der Wand über ihr befand sich ein Rorschachfleck. Eine Hand griff ins Leere.
    Ich hatte immer Angst, dass Fallows nie wirklich tot war. Es ist eine Angst, mit der man lebt, wenn man dem Bösen so nah gekommen ist.
    Elf Jahre. Elf Jahre habe ich gewartet, habe in dieser Zelle meine Zeit abgesessen. Ich hatte fast aufgegeben. Dann kam eines Tages ein Besucher. Ein Mann, den ich damals nur als Kollegen kannte. Stanley Fisk brachte einen Karton mit meinem Namen darauf mit. Er war Fisk von einem Studenten gebracht worden, der meine Sachen in Dumant durchgegangen war. Der Karton musste an dem Tag in meinem Büro angekommen sein, als ich verhaftet worden war. Darin befanden sich Akten, Bündel von verstaubtem Papier, Müll – und ganz unten, in braunes Papier eingewickelt, lag Shawna Wheatleys Abschlussarbeit. Zwei Kopien, ordentlich gebunden, mit einer bezahlten Rechnung. Das sehr gewissenhafte Kopierzentrum hatte sie an die Adresse geschickt, die auf Shawnas Titelseite stand: meine.
    Eine Kopie habe ich sofort zerstört. Es war wunderbar, Seiten von Fallows über den Gefängnishof zu verteilen, seine Worte in Rauch aufgehen zu lassen und meine nächsten Schritte zu planen. Die andere habe ich sorgsam aufbewahrt.
    Denn sie enthielt Charlie Rutherfords Geständnis.
    Und einen verlorenen Fallows.
    Das waren meine neuen Informationen. Mein Grund für den Abendkurs.
    Jetzt sind wir wieder hier, Vergangenheit und Gegenwart sind aufeinandergeprallt, und doch lebst du. Wenn es dir recht ist, habe ich eine einfache Bitte an dich: Ich möchte dich ein letztes Mal sehen, Alex. Ich muss dir etwas Wichtiges zeigen, bevor du gehst. Bitte.
    Richard
    58
    Stattdessen kehrte sie nach Harvard zurück und nahm ihr Alltagsleben wieder auf. Peter war weg, und die Gerüchte besagten, dass er jetzt mit einer seiner Doktorandinnen zusammen war. Alex wünschte ihm alles Gute. Auch sie hatte sich in der Zwischenzeit eines Besseren besonnen.
    Keller rief an einem Freitag an. »Sommerferien«, sagte er.
    »Wann machst du deinen Ausflug?«
    »Am letzten Tag deines Semesters. Ich werde da sein. Versprochen.«
    Sie hatte vor Freude fast aufgeschrien. Sie hatte ihn schrecklich vermisst.
    Die Postsendung kam an diesem Montag an. Es war ein einfacher brauner Umschlag. Ihr Name war in Aldiss’ schmaler, sorgfältiger Handschrift darauf geschrieben.
    Auf der beigefügten Karte stand nur: Du hättest kommen sollen, Alexandra .
    Aber da war noch etwas. Eine Seite aus einem Buch. Dünn, grau – eine Seite aus einem billigen Taschenbuch. Aldiss hatte sie ausgeschnitten. Alex stand in ihrem Schlafzimmer und hielt sie in der Hand. Ihre Finger zeichneten sich durch das dünne Papier ab. Ein Name stand in der oberen rechten Ecke – Christian Kane. Sie stammte aus Barker im Sturm .
    Das war alles.
    »Dieses Mal nicht, Professor«, sagte sie laut. »Da spiele ich nicht mit.« Sie legte die Seite auf ihren Nachttisch.
    Zwei Tage später korrigierte sie die letzten Examen des Semesters in ihrem
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