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Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen

Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen

Titel: Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
Autoren: Peter O'Donnell
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    Sie hieß Molly Chen, war neunzehn und hatte Angst.
    Ein Flugzeug, das sich im Landeanflug auf den Flughafen von Kai Tak befand, war ihr willkommener Vorwand zu schweigen, bis das Geräusch verebbte. Sie stand auf, ging durch das kleine Büro und schloß das Fenster, von dem aus man von Kowlon über Victoria Harbour nach Hongkong sah, und setzte sich dann wieder an den unaufgeräumten Schreibtisch.
    Der Engländer, der ihr gegenüber saß, hatte ebenfalls Angst. Er war nicht unruhig und zeigte auch sonst keine äußeren Zeichen von Nervosität, aber die Spannung in ihm war so groß, daß sie sich auf Molly übertrug. Sie versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, und sagte: »Mein Großvater ist zur Zeit nicht erreichbar, Mr. Garvin.«
    Blaue Augen musterten sie mißtrauisch. »Wann ist er’s?« fragte der Mann. Seine Aussprache war unkultiviert, und sie dachte, sein Akzent sei wohl das, was die Engländer als Cockney bezeichneten.
    Da sie nicht wußte, was sie antworten sollte, versuchte sie es mit einer Gegenfrage. »Womit können Sie bitte beweisen, daß Sie Modesty Blaise vertreten? Ich bin jetzt seit zwei Jahren die Sekretärin meines Großvaters Wei Lu und habe Sie noch nie gesehen, geschweige denn Ihren Namen gehört.«
    Der große, stattliche Mann mit dem etwas grobschlächtigen Gesicht sagte: »Das ist das erste Mal, daß ich für Modesty Blaise arbeite. Sie hat mich vor ein oder zwei Wochen in Thailand … sozusagen aufgelesen. Gab mir diesen Job, bevor sie zurück nach Tanger flog. Ich bin hier, um von Wei Lu für geleistete Dienste fünfzigtausend Pfund Sterling in Königlich-Niederländischen Shell-Überbringeraktien abzuholen.«
    Er suchte in seinen Taschen und legte eine kleine Elfenbeinbrosche auf den Tisch. »Das ist der Beweis, daß Modesty Blaise mich schickt.«
    Molly Chen beugte sich vor und betrachtete eingehend die chinesischen Schriftzeichen, die in die Brosche eingraviert waren. Dann nickte sie. »Ja, das ist ihr Siegel. Niemand außer ihrem Bevollmächtigten würde ein solches Empfehlungsschreiben besitzen, Mr. Garvin.«
    Willie Garvin steckte die Brosche wieder ein und entspannte sich ein wenig. »Wann kann ich also die Aktien von Wei Lu kriegen?« fragte er.
    Die Hände des Mädchens zitterten vor Verzweiflung. »Es tut mir leid«, sagte sie, und jetzt stockte ihre Stimme. »Das ist unmöglich. Vor drei Tagen wurde die Jacht meines Großvaters während seiner Rückkehr von Makao von einem Kanonenboot der chinesischen Marine gestoppt, und er wurde verschleppt. Einem Gerücht zufolge soll er sich jetzt in Rotchina in den Händen des chinesischen Geheimdienstes befinden.«
    In der darauffolgenden Stille sah sie, wie die Farbe langsam aus dem Gesicht des Engländers wich, und fragte sich, warum er so tief betroffen war. Modesty Blaise war eine vernünftige Person, die mit Wei Lu in gutem Einvernehmen stand und wissen würde, daß dies kein übler Trick war. Außerdem war es nicht der Fehler dieses Willie Garvin, daß er mit leeren Händen würde gehen müssen. Schließlich fragte er mit rauher Stimme: »Können Sie in Wei Lus Namen an diese Aktien herankommen?«
    Sie schüttelte entschuldigend den Kopf. »Wenn ich es könnte, würde ich es tun, Mr. Garvin, da ich weiß, daß die Transaktion genehmigt ist. Aber ich weiß nicht einmal, auf welcher Bank die Dokumente liegen, oder ob mein Großvater sie irgendwo in einem privaten Safe aufbewahrt. Als seine Sekretärin bin ich nur mit einzelnen seiner Geschäfte vertraut.«
    Willie Garvin schloß die Augen und murmelte:
    »Ach du liebe Zeit …« Nach einer Weile blickte er sie wieder an und fragte mit leiser Verzweiflung: »Wissen Sie, wo man Wei Lu hingeschafft hat?«
    Sie nickte bejahend, spielte nervös mit den Fingern und sagte: »Wir haben gehört, daß mein Großvater zur Vernehmung im Hauptquartier der zehnten Geheimdienstabteilung in Kui-tan festgehalten wird.« Sie zögerte und fuhr dann fort: »Sie müssen wissen, Mr. Garvin, daß diese Sache zum größten Teil eine persönliche Angelegenheit ist. Vor vielen Jahren war mein Großvater unter Mao ein Offizier der chinesischen Volksarmee. Er desertierte und floh nach Hongkong. Sein damaliger Vorgesetzter fiel in Ungnade und kam für zwei Jahre ins Gefängnis. Nach Maos Tod wurde er rehabilitiert und ist jetzt Oberst beim Geheimdienst in Kui-tan. Ich glaube, er handelt aus Rache. Mein Großvater wird einer Gehirnwäsche unterzogen werden, damit er ein detailliertes
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