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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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noch den Rücken zukehrt. Haut ihr die Axt mit der stumpfen Seite auf den Kopf. Die 53-Jährige sinkt zusammen, röchelt am Boden liegend mit fast tonloser Stimme: „Wat wullt du?“ Timm schlägt noch zweimal zu. Margaretha Thode rührt sich nicht mehr.
    4
    Im Bett ihres Mädchenzimmers ist Anna erwacht durch seltsame Geräusche, die sie zunächst verwirren. Sie setzt sich auf, horcht. Schlagartig wird ihr bewusst, dass nebenan etwas Ungewöhnliches, ja, Schreckliches geschieht. Zitternd steigt sie aus dem Bett, vergisst die Petroleumlampe anzuzünden, tastet sich in der Dunkelheit zur Tür, die ihr kleines Zimmer vom Schlafgemach der Eltern trennt.
    Ein Streit zwischen den Eltern? Unmöglich! Die Mutter ist eine stolze, selbstbewusste Frau, Tochter des Hofbesitzers Marten Krey in Brockdorf. Doch nie hat sie sich dem Wort und der Meinung ihres Gatten widersetzt. Und nie, solange Anna zurückdenken kann, hat es zwischen beiden auch nur einen unfriedlichen Wortwechsel gegeben.
    Mit klopfendem Herzen steht sie an der Tür. Wagt nicht, durchs Schlüsselloch zu gucken. Im Elternzimmer ist es plötzlich still. Totenstill. Anna beschließt, sich leise zurückzuziehen. Da wird die Tür aufgerissen. Timm, in blutbespritzten Kleidern, starrt sie an mit düsterem, seltsam entschlossenem Blick.
    „Timm! Wat wullt du?“ Mit weit aufgerissenen Augen blickt Anna den Bruder an. Die blutigen Hände, die verschmutzte Kleidung, das seltsam verzerrte Gesicht.
    Sie entdeckt die Axt in seiner Rechten. Zugleich lässt ein leises Wimmern aus dem Schlafzimmer sie zusammenfahren. Die Mutter. Sie liegt am Fenster in ihrem Blut. Das Gesicht zerschlagen.
    Timm zur Seite schubsend, stürzt Anna schreiend ins Schlafzimmer. „Vadder! Vadder!“ Das Bett des Vater ist leer. Schon hat Timm sie gepackt. Zerrt sie zurück ins Mädchenzimmer. Schlägt mit der stumpfen Seite der Axt auf sie ein.
    „Help mi! Help mi!“ Wo bleiben die Brüder? Keiner eilt ihr zu Hilfe. Sie sind nicht da, schießt es ihr heiß durch den Kopf. Im Weizen sind sie. Bei den Ochsen. Sie schreit weiter. „Help mi! Help mi!“Greift nach dem Axtstiel. Wehrt sich aus Leibeskräften.
    Die unerwartete Gegenwehr verwirrt den Mörder. Er gerät in Wut auf die Schwester, die er so oft beneidet hat um ihren hellen Verstand, ihre blitzschnelle Auffassungsgabe, ihren fröhlichen Optimismus. Und er spürt, dass ihr verzweifelter Widerstand sein Vorhaben vereiteln kann. Fester packt er sie mit der Linken. Schlägt mit der scharfen Kante auf sie ein. Doch so oft er auf den Kopf zielt, er trifft nur Brust und Arme.
    Annas Kraft schwindet. Ihr Schreien geht in Schluchzen über. „Lat mi leeven, min besten Timm. Lat mit leeven“, bettelt sie. „Ik heff di doch nix dahn.“
    Mit letzter Kraft krallt die 18-Jährige ihre Hände in seine Jackenärmel. Beim Versuch, die Arme frei zu bekommen, entgleitet Timm die Axt, fällt krachend auf den Boden. Er will sie aufheben, doch Anna hindert ihn, hämmert die Fäuste gegen seine Brust.
    Er tastet mit der Rechten nach der Axt. Weg ist sie. Weg. Unbemerkt hat Anna sie mit dem Fuß unter einen Stuhl geschoben.
    Er greift mit bloßen Händen nach ihrem Hals. Doch auch das will ihm nicht gelingen.
    Mit erneuter Kraft, die ihm unheimlich ist, stößt sie ihr Knie in seinen Bauch. Timm krümmt sich vor Schmerzen. Lässt kurz von Anna ab. Packt sie an den Oberarmen. Schleudert sie in den Alkoven.
    Wild blickt er sich um. Reißt die Tür zur Küche auf. Da. In einem Korb auf der Anrichte. Das Brotmesser.
    Anna hockt schluchzend in der Ecke ihre Alkovens. Hat sie den ungleichen Kampf aufgegeben? Oder gehofft, Timm würde, entsetzt über sein Tun, durch die Küche ins Freie fliehen?
    Sie wehrt sich nicht mehr, als er mit dem Messer auf sie einsticht. Mehr als dreißig Mal, wie später die Ärzte feststellen werden. Sie flüsterte nur noch: „Ik glöv, ik bliev nu doot.“
    Anna ist tot. Keuchend steht Timm vor ihrem Alkoven. Blickt erschöpft mit kalten Augen auf das, was er angerichtet hat.
    Abel fällt ihm ein. Sein letztes Opfer. Er schleudert das Messer an die Wand. Sucht und findet die Axt. Durch die Küche will er. Hinaus auf die Diele und hinauf in die Kammer der 17-Jährigen.
    Unterwegs vernimmt er ein Stöhnen. Die Mutter. Er fasst die Axt fester, versetzt der Sterbenden drei, vier letzte Schläge. Hastet hinaus.
    Vor der Kammertür hält er inne. Hat Abel etwas mitbekommen? Ist sie gar geflüchtet und nun auf dem Weg zu Schwarzkopfs oder dem
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