Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
Vom Netzwerk:
Feuer im Schlafzimmer, in Martins Kammer, in der Gooden Stuuv. Er stürzt aus dem Haus, ohne sich noch einmal umzuschauen. Und begeht damit einen weiteren Fehler.
    Timm hastet über den Hof. Die Kassette! Da liegt sie, dunkel und schwer, in einer von den Ackerwagen verursachten, nun hartgetrockneten Schlammspur. Er beugt sich, will den Kasten ergreifen, verspürt einen stechenden Schmerz im rechten Knie. Das Hosenbein ist zerrissen. Die Kassette unterm Arm, humpelt er durch das Hoftor, vorbei an gespenstischen Kopfweiden zum Hof von Jakob Schwarzkopf, dem nächsten Nachbarn.
    Nicht ein einziges Mal schaut Timm zurück zum Elternhaus. Und bemerkt nicht, dass fast alle Fensterläden geschlossen sind und das Feuer mangels Sauerstoff nur zögernd um sich greift. Es wird am Ende nicht nur Schutt und Asche hinterlassen, sondern Spuren, die das Verbrechen verraten werden.
    Erleichtert stellt er fest: Kein Licht im Haus von Jakob Schwarzkopf. Die Nachbarn schlafen. Auf dem seitlich zur Küche führenden, mit Kieseln gepflasterten Gartenweg stolpert er erneut, schlägt hin. Die Kassette landet in einem Rosenbeet. Timm tastet nach ihr, zieht sie im Liegen zu sich heran. Er kriecht, den Kasten vor sich herschiebend, zur Küchentür. Legt sich auf den Rücken. Stöhnt, wimmert, schreit.
    8
    Hanne Schwarzkopf, die füllige, resolute Bäuerin, erwacht aus leichtem Schlaf. Ärgert sich. Schon wieder die Katzen. Nacht für Nacht schleichen sie ums Haus. Rauben ihr die wohlverdiente Ruhe mit grässlichen Lauten, die jetzt sogar menschlichem Gewimmer gleichen. Aber was ist das? Taghell die Nacht! Sie reißt die verschlafenen Augen auf. Erhebt sich schwerfällig vom Lager. Tappt barfüßig zum Fenster.
    Ihr stockt der Atem. Lichterloh brennt die Scheune des Nachbarn. Flammen schlagen aus einigen Fenstern des Wohnhauses. „Joggob! Wook op! Jehanns Hoff brennt!“ schreit sie mit sich überschlagender Stimme.
    Jakob Schwarzkopf brummelt unwillig, wirft sich auf die linke Seite. Zu kräftig hat er gestern beim gemeinsamen Besuch mit den Thodes dem Lübecker Rotspon des Bauern Starck zugesprochen. Und liegt nun in bleiernem Schlaf. Hanne rüttelt an seinen Schultern. „Minschenkind! Wook op! Dat brennt bi Jehann!“
    Mit einem Ruck ist der Bauer wach. Sitzt sekundenlang aufrecht im Alkoven. Springt heraus. Und steht nun offenen Mundes am Fenster: „O du leeve Gott!“
    Er hastet die Treppe hoch. Reißt die Tür zur Knechtskammer auf. „Hinnerk! Opstahn! Füür bi Nahwer Thod!“ Der junge Knecht ist sofort auf den Beinen, fährt in Hose und Stiefel, reißt die Jacke vom Haken, blickt verstört aus der Dachluke.
    „Los! Los!“ drängt der Bauer. Hinnerk stürmt die Treppe hinunter, rennt los. Er nimmt nicht wahr, dass bereits Helfer aus der Nachbarschaft unterwegs sind. Fuchtelt mit den Armen und schreit: „Thod’s Hoff brennt! Füür bi Thod‘!“
    Johannes, der Sohn, ist bereits im Stall, legt seinem braunen Wallach lediglich das Zaumzeug an und gallopiert den Deich entlang ins Dorf, um den Gendarm zu wecken.
    Hanne Schwarzkopf ist inzwischen zur Küche hinaus, steht erschrocken vor dem Mann, der vor der Tür liegt und heiser krächzt: „Füür!“ Immer wieder das eine Wort: „Füür!“ Ihr Mann kommt hinzu. Beugt sich nieder zu dem leichenblassen Gesicht. Seitlich schaut er zu Hanne hoch. „Dat is Timm. Jehanns Tweeten.“
    Sie tragen ihn hinein, legen ihn auf die Küchenbank. Behutsam bettet Hanne seinen Kopf auf ein Kissen, holt aus der Wohnstube eine Wolldecke, breitet sie über den Körper des Ächzenden. Ihrem Mann nickt sie zu: „Loop röver. Ik tööv hier un lat den Dokder hol’n.“
    Timm fühlt sich geborgen in der Nachbarsküche. Er ist sich sicher: Sein Plan ist gelungen. Die Flammen fressen alles, die Scheune, das Haus, die Ställe. Nichts als Asche werden sie übrig lassen. Auch von denen, die er umgebracht hat. Er schließt die Augen. Schlafen will er, nur noch schlafen. Hanne Schwarzkopf schaut, die Hände in die Hüften gestemmt, auf ihn herunter. Schüttelt den Kopf und seufzt: „De arme Jung.“
    9
    Mühsam humpelt Jakob Schwarzkopf an seinem Krückstock auf dem zerfurchten Feldweg zum Thode-Hof. Es sind nur einige hundert Meter, doch die rheumatischen Gelenkschmerzen machen ihm zu schaffen. Mit Entsetzen und Faszination erfüllt ihn der Anblick der gewaltig lodernden Flammen. Zugleich schiebt sich ihm immer wieder das Bild des jungen Mannes vor Augen, der vor seiner Tür lag.
    Warum ist Timm zu ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher