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183 oz.

183 oz.

Titel: 183 oz.
Autoren: Daniel Ott
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Sa, 27.09.97 : Die Fahrt im Passat war ein guter Start!
    Jetzt ist es soweit. Gleich werden mein Bruder und ich in ein Flugzeug steigen, das uns erst in einem halben Jahr wieder zurückbringen wird. Länger dürfen wir mit unseren Touristen-Visa nicht in Australien bleiben. Gestern, um kurz nach zehn Uhr abends, haben wir unsere Rucksäcke für diesen Trip gepackt. Was nimmt man mit, wenn man für ein halbes Jahr auf Reise geht? 183 Wechselunterhosen und einen Pullover für jedes Wetter? Wir haben uns nach reiflicher Überlegung dagegen entschieden und uns auf das Nötigste beschränkt. Außerdem haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, diese Reise in alten und viel zu kleinen Anzügen aus einem Second-Hand-Laden anzutreten. Ein Spaß, mit dem wir nach über 27 Stunden auf Achse beinahe an die Grenzen unseres eigenen Humors stoßen werden. Unsere Mutter, die ungefähr in dem Alter, in dem wir jetzt sind, aus ihrem Geburtsland ausgewandert war, fährt uns zum Flughafen. Sie ist vor mittlerweile mehr als 30 Jahren von Venezuela für ein halbes Jahr nach Deutschland gekommen. Der Abschied von ihr ist dementsprechend intensiv: Mama kämpft mit mehr als nur der leisen Befürchtung, uns so schnell nicht wiederzusehen. Wir sind aufgeregt, ein wenig traurig, sehr happy und vollkommen ahnungslos, was die Zukunft bringen wird. Eingerahmt werden diese intimen und verwirrenden Gefühle von der schnellen und kühlen Atmosphäre auf den blank polierten Fußböden des Frankfurter Flughafens. Zwischen Glas, Stahl und Sicherheitspersonal.
    Nach ein paar Schnappschüssen zur Erinnerung gibt Mama mir eine US-Amerikanische 5-Dollar-Note, für den allerletzten Notfall, für den rettenden Anruf nach Hause. Diese 5 Dollar habe ich noch heute, 15 Jahre später, in meinem Portemonnaie. Nach dem Abschied machen wir uns mit unseren Rucksäcken, den Skateboards und der Gitarre in unseren an Armen und Beinen viel zu knapp sitzenden Anzügen auf, zur Passkontrolle. Ein letzter Blick zurück zu Mama: Sie wirkt kleiner als sonst, aber sie lächelt unter der dunklen Sonnenbrille und winkt uns zu. Ich winke zurück, drehe mich um und konzentriere mich auf das, was vor uns liegt.
    In der Warteschlange vor der Passkontrolle sagt Benni:
    "Komm, gib mal Deinen Pass und nimm den hier."
    Er hält mir seinen Pass hin.
    Um unserem Abenteuer vom Start weg die richtige Würze zu verleihen, stellen wir uns dem prüfenden Beamtenblick mit echtem Lächeln - aber dem falschen Reisepass. Mein Bruder und ich sehen uns zwar ähnlich, weil wir ja Brüder sind. Aber eigentlich sehen wir uns nur so ähnlich, wie zwei Typen, die annähernd gleich groß sind und eine ähnliche Frisur und ähnliche Anzüge tragen. Für den  Passkontrollbeamten genügt das.
    "So, Herr Benjamin Ott", strahlt Benni mich hinter der Kontrolle an, "dann mal viel Spaß auf Ihrer Reise!"
    Um nicht vor Glücksgefühlen laut jauchzend herumzurennen und alberne 80er-Jahre-Luftsprünge zu machen, schlendern wir mit einem coolen 90er-Jahre-wir-haben-jetzt-alle-Zeit-der-Welt-Schlendern mit aller Zeit der Welt durch die überparfümierte und blinkende Duty-Free-Welt. Bis wir über die Lautsprecher ausgerufen werden, dringend zum Gate zu kommen.
    "Das sind wir: Passengers Ott!" staunt Benni.
    Ich falle aus allen Duftwolken.
    "Stell Dir mal vor," rufe ich Benni im Laufen zu, "wir würden diesen Flug verpassen!"
    Wir beschleunigen auf maximale Rucksack-Skateboard-Gitarren-Geschwindigkeit und schlüpfen mit bis zu den Knien hochgerutschten Anzughosen als letzte durch das Gate.
    Im Flugzeug werden wir sehr freundlich von den kleinen und äußerst ökonomischen weil nicht einmal 50 kg schweren Stewardessen empfangen:
    "Welcome on bord with Thai Airways! Oh... you are so tall! Are you twins?"
    Twins? Aber nicht doch meine Damen. Sehr charmant, aber wie gesagt, wir sehen uns doch gar nicht so ähnlich, wenn man Haare, Zwirn und die ähnliche Größe vom Gesamtbild subtrahiert. Umgekehrt aber sind wir völlig verblüfft, von einer so großen Zahl eineiiger Zwillingsschwestern in Stewardess-Kostümen begrüßt zu werden.
    In Kuala Lumpur, unserem Zwischenstopp auf dem Weg nach Sydney, herrschen zu dieser Zeit großflächige Waldbrände, so dass der Flugverkehr durch den starken Rauch behindert wird. Ein Glücksfall für uns, denn viele Passagiere haben ihre Flüge storniert - und wir somit jeder eine ganze Sitzreihe mit fünf Sitzen für uns. Wir verschlafen den Großteil des Fluges nach Kuala Lumpur.
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