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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist
Autoren: Eva Heller
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alle Texte sind deutsch
und englisch geschrieben, aber wir können die Druckvorlagen nicht in die
Druckerei bringen, weil ein Foto fehlt, das von der Fassade mit dem neuen
Schriftzug HOTEL HARMONIE. Die Buchstaben sollten längst fertig sein. Tag für
Tag warten wir darauf. Der Kunstschlosser ist ein unmöglicher Typ. Er wurde
Rufus von einem andern Handwerker als Meister seines Fachs empfohlen, er
arbeite langsam, aber sorgfältig. Bisher arbeitet er nur langsam, falls
überhaupt.
    Der Kunstschlosser hat einen Anrufbeantworter,
ruft aber nie zurück. Man muß hinfahren. Als ich das erstemal kam, um höflich
persönlich anzufragen, wann eventuell die Buchstaben endlich fertig wären,
hatte er nur ein H, ein O, ein T und ein E fertig. Und alle noch nicht
vergoldet. Und er sagte, er mache jetzt zuerst das R, denn das R sei das
Schwierigste überhaupt. »Verstehen Sie, was ich meine«, sagte er, »diese
Rundung vom R?«
    »Ja«, sagte ich geduldig.
    »Schwieriger als das R ist
eigentlich nur das B, das hat nämlich zwei Rundungen. Es ist doppelt so
schwierig wie das R, weil die obere Rundung bei dieser Schriftart völlig anders
ist als die untere Rundung. Das ist wie bei einer Frau«, er taxierte mich, »bei
Ihnen ist das nicht so, aber bei sehr vielen Frauen ist die obere Rundung vorn kleiner
als die untere Rundung hinten. Es gibt natürlich auch Frauen, bei denen sind
beide Rundungen vorn, das ist dann aber nicht so schön wie bei einem B.«
    Ich beschloß, sein
Frauengewäsch zu ignorieren. Er war zu doof. Ich kam mir vor, als müßte ich in einer
Kleinkindersendung mitspielen, und ein trotteliges Plüschmonster erklärt mir
den Unterschied zwischen einem R und einem B. »Ich brauch kein B«, sagte ich
wie ein konsumbewußtes Plüschmonster.
    »Ein S ist auch nicht einfach«,
sagte er.
    Ich dachte, ich spinne. »Ich
brauch auch kein S!«
    »Haha, Sie werden lachen, genau
das hat mein Sohn früher auch gesagt. Der hat alle S verkehrt herum gemalt,
spiegelverkehrt. Als er noch ein Kind war, wohlgemerkt. Heute beherrscht er das
S aus dem ff.«
    Ich quälte mir ein Lächeln ab.
    »Kennen Sie die Geschichte von
Karl Valentin? Von dem Mann, der zum Bäcker geht...«
    »Ja«, unterbrach ich ihn
sofort, »ich hab lange in München gewohnt, und Karl Valentin war Münchner,
deshalb...«
    »Passen Sie auf, da geht ein
Mann zu einem Bäcker und bestellt ein B. Er sagt nicht genau, was er für ein B
will, nur aus Brezelteig soll es sein, weil er es ja beim Bäcker bestellt.«
    »Ich kenne die Geschichte.«
    »Und da der Mann überhaupt
nicht sagt, wie viele Rundungen er in dem B will«, dabei walzte dieser
Kunstschlosser-Idiot seine dreckigen Hände vor seiner Brust, um eine Rundung
anzudeuten — es hätte vollauf genügt, hätte er auf seinen Fettbauch gezeigt,
»also macht der Bäcker nur eine Rundung in das B, nämlich ein kleines b. Als
der Kunde das b sieht, sagt er, das würde er nicht kaufen, er hätte ein großes
B gewollt, mit zwei Rundungen.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Also muß der Bäcker noch ein B
backen, aber irgendwie ist das wieder falsch...«
    »Ja.«
    »Und der Bäcker, der ja nur ein
kleiner Handwerker ist, der seinen Kunden nach der Pfeife tanzen muß, macht
noch ein B, ein großes B.«
    »Ja, mit zwei Rundungen.«
    »Und wissen Sie, was der Kunde
da sagt?«
    »Ja.«
    »Also, der Bäcker sagt, als der
Kunde endlich zufrieden ist: Bitte schön, der Herr, darf ich es Ihnen jetzt einpacken?
Und da sagt der Kunde: Das ist nicht nötig, ich eß es gleich!«
    Ich nickte nur.
    »Wenn Sie aus München sind,
müssen Sie die Geschichte aber kennen.«
    »Wann ist die Schrift fertig?«
    »Schwer zu sagen«, sagte er
nachdenklich, »wissen Sie, ich habe noch andere Kunden. Fragen Sie nächste
Woche noch mal.«
     
    Rufus sagte, ich soll es sein
lassen, mich über diesen Idioten weiter zu ärgern. Aber ich fahre eine Woche
später wieder hin. Und was sagt er?
    »Ich bin nicht fertig. Ich
mußte ganz von vorn anfangen.«
    »Warum denn das? Was soll das
heißen?«
    Er kicherte: »Ich hab von vorn
angefangen und hab’ schon das ganze Hotel fertig. Das L ging schnell. So ist
das immer beim L. Haha.«
    Weil ich nicht lachte, sagte
er, ich solle nicht so frustriert gucken, er habe zusätzlich ein A und das
zweite E und ein R fertig. »Über das R haben wir schon gesprochen«, sagte ich
eisig. »Haben Sie das M?«
    Er glotzte mich an: »Das M?
Nein. Sie als Laie stellen sich das zu einfach vor. So ein M, das muß die
richtigen
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