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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist
Autoren: Eva Heller
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Solveig soviel lernen,
zum Beispiel, was freie Persönlichkeitsentfaltung sei. Als sie den Nerv hatte,
noch zu schwärmen, wie ungeheuer kreativ Solveig wäre, und wie schade, daß die
Kreativität bei uns Erwachsenen so verkümmert sei — und das angesichts unseres
Foyers! —, platzte mir fast der Kragen. Zum Glück kamen Thomas und Marianne aus
Alfreds Crew und wollten wissen, was jetzt im Foyer arrangiert werden sollte.
Da kapierte meine Mutter dann, daß es anderes zu tun gab, als ihren
Enkelkindgeschichtchen zu lauschen.
    Unter dem Kronleuchter mußte
der Teppich von Frau Futura ausgelegt werden, darauf der alte runde Tisch,
darauf die blaue Decke mit den Drapierungen, darauf das ein Meter hohe Gesteck
roter Rosen, das bereits seit gestern auf der Rezeptionstheke stand. Heute
waren die Rosen schöner als gestern, sie waren erblüht. Ich hatte Rufus
gefragt, ob er nicht auch rote Rosen als zentrale Blumendekoration am schönsten
fände, und Rufus hatte gesagt: »Ja, rote Rosen, wie auf deinem Kleid.«
    »Dein Geschmack wird täglich
besser«, hatte ich gelacht und dieses getürmte Gesteck aus drei verschiedenen
Sorten roter Rosen bestellt, nur eine Sorte wäre zu bieder gewesen — außerdem
waren die Rosen auf meinem Kleid auch nicht alle gleich.
    Der Tisch samt Decke stand im
neuen Portiersraum bereit. Da war auch Frau Futuras Teppich. Nein, war er
nicht. Rufus sagte, er hätte ihn zuletzt im Frühstücksraum gesehen. Herr
Hedderich hatte ihn angeblich noch nie gesehen, was unmöglich war. Er war auch
nicht in einem der Küchenschränke. Hatte ihn ein Handwerker geklaut? Oder ein
Gast? Hatte ihn Herr Hedderich aus Versehen in den Müllcontainer geworfen? Oder
lag doch ein Fluch auf diesem Hellseherinnen-Teppich? Wir waren noch dabei,
alle Unmöglichkeiten und Möglichkeiten durchzudenken, als ein Taxi vorfuhr:
Elisabeth und Peter.
    »Wo bin ich? Und in welchem
Jahrhundert?« rief Elisabeth, als sie die Wolken, die Gemälde und alles sah.
    »Welch ein Wahnsinn!« Peter
bestaunte wie damals den Kronleuchter.
    Das Problem des verschwundenen Teppichs
interessierte beide nicht. Elisabeth sagte sogar: »Sei froh, daß er weg ist.
Ehrlich: Wolken, Kronleuchter, Rosengesteck, Tischdeckendrapierung — es
reicht.«
    Da hatte sie vielleicht recht.
    Und Peter sagte: »Würde ein
Fluch auf dem Teppich liegen, wäre das hier nicht so geworden. Das wird dir
jeder gute Hellseher bestätigen.«
    »Richtig«, sagte Rufus, »es
gehört einfach dazu, daß etwas schiefgeht.« Dann mußte Rufus wieder mal die
Druckerei anrufen, er hatte nämlich bereits einen Posten, bei dem alles schiefging:
der Hotelprospekt. Angeblich war die Maschine, die die Prospekte falzte,
kaputtgegangen. Angeblich war sie nur unseretwegen Samstagfrüh repariert
worden, angeblich sollten die Prospekte noch heute geliefert werden. Aber wann?
Das war es, was Rufus nervte.
    »Ich finde, er sieht aus wie
ein Hotelbesitzer«, flüsterte mir Elisabeth zu, »aber farbenblind sieht er gar
nicht aus.«
     
    Ich mußte den Teppich
vergessen, ich mußte mit Alfred ein letztes Mal den Zeitplan des Abends
durchgehen.
    Also, um sieben begann das
Fest. Wir hatten extra auf die Einladungen gedruckt »Um pünktliches Erscheinen
wird gebeten«, um nicht den ganzen Abend im Foyer zu stehen und immer noch
einen Nachzügler begrüßen zu müssen. Bis acht sollten die Leute im Foyer
lustwandeln, echten Champagner trinken oder Alkoholfreies, und überall würden
Tabletts mit Canapés stehen, damit niemand hungrig lustwandeln mußte. Also, bis
acht würden wir die Gäste begrüßen, die Gäste sollten sich miteinander
unterhalten, die Bilder bewundern, fotografiert werden. Um acht wollte Rufus
seine Rede halten. Anschließend sollten alle Zimmer gezeigt werden, das würde
bis etwa neun dauern, dann würde Alfred am Büffet eine Suppe servieren und
sonstige warme Kleinigkeiten und natürlich Unmengen kalter Platten. Die
Desserts erst gegen elf. Weil mehr Gäste kommen würden, als Sitzplätze im
Frühstücksraum-Restaurant waren, wurden im Foyer zusätzliche Tische
aufgestellt, damit niemand seinen Teller auf dem Abendkleid balancieren mußte.
    Und um zehn der Höhepunkt des
Abends — jedenfalls für Rufus und für mich: Wir beide würden den Ball eröffnen.
Mit einem echten Walzer.
    Wir hatten geübt, unten im
Foyer, oben im Flur, nachts in unserem Zimmer. Wir konnten zusammen Walzer
tanzen, als sei Walzertanzen uns angeboren. Nein, es war nicht der Donauwalzer,
mit dem wir den
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