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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte
Autoren: Ignatius David
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Mustafa, mein Freund», sagte er auf Arabisch. «Gott ist groß. Friede sei mit dir.» Marwan brachte sich in Position, um, wenn nötig, die Tür einzutreten.
    «Was wollen Sie?», fragte die Stimme aus der Wohnung. Die Kette blieb vorgelegt.
    «Ich habe hier jemanden, der mit dir sprechen möchte», sagte Hani. «Bitte, nimm dieses Telefon. Es ist nur ein Telefon, versprochen. Hab keine Angst.» Vorsichtig schob er das Handy durch den Türspalt. Doch Karami wollte es zuerst nicht anrühren.
    «Nimm das Telefon, mein Sohn», sagte Hani sanft.
    «Warum? Wer will mich denn da sprechen?»
    «Rede mit deiner Mutter.»
    «Was?»
    «Rede mit deiner Mutter. Sie wartet hier am Telefon darauf, mit dir zu sprechen.»
    Der junge Araber hielt das Handy ans Ohr und hörte eine Stimme, die er seit drei Jahren nicht mehr gehört hatte. Anfangs hatte er Schwierigkeiten, sie überhaupt zu verstehen. Sie erzählte ihm, wie stolz sie auf ihn sei. Sie habe immer schon gewusst, dass er einmal Erfolg haben würde, schon damals in Zarqa, als er noch ein kleiner Junge war. Und jetzt vollbringe er große Dinge. Er habe ihr Geld geschickt, einen Kühlschrank bringen lassen und nun auch noch einen neuen Fernseher. Mit dem Geld könne sie sich endlich eine neue Wohnung leisten, wo sie in ihrem Sessel sitzen und zusehen könne, wie die Sonne hinter den Hügeln unterging. Sie sei so stolz auf ihn, jetzt, da er so erfolgreich sei. Er sei ein wundervoller Sohn, Gott sei dafür gepriesen. Der Traum einer jeden Mutter. Ein Geschenk Gottes. Sie weinte. Und als sie sich verabschiedete, weinte auch Mustafa: vermutlich vor Freude, weil er die Stimme seiner Mutter gehört hatte, aber sicher auch vor Verzweiflung, weil er wusste, dass er in der Falle saß.
    «Du bist der Augenstern deiner Mutter», sagte Hani zu ihm.
    «Was haben Sie mit ihr gemacht?» Mustafa wischte sich die Tränen aus den Augen. «Ich habe nichts von dem getan, was sie da erzählt. Sie haben sie belogen.»
    «Lass mich herein, dann können wir uns unterhalten.»
    Mustafa zögerte, schien noch über eine letzte Fluchtmöglichkeit nachzudenken, doch er war längst in Hanis Gewalt. Schließlich löste er die Kette, öffnete die Tür, und die drei Männer traten ein. Das Zimmer war beklemmend kahl, keine Möbel, keine Bilder, nur eine Matratze in der Ecke und ein nach Mekka ausgerichteter Gebetsteppich. Der hagere junge Araber wirkte schlaff und kraftlos. «Was wollen Sie?», fragte er. Seine Hände zitterten.
    «Ich habe deiner Mutter geholfen», sagte Hani. Ehrfurcht gebietend stand er vor dem jüngeren Mann und brauchte gar nicht mehr eigens zu erwähnen, was sich logischerweise daraus ergab: dass er ihr ebenso gut etwas antun konnte, anstatt ihr zu helfen.
    «Sie haben sie belogen», wiederholte Mustafa bebend.
    «Aber nein, wir haben sie lediglich ein wenig unterstützt. Wir haben ihr ein paar Geschenke zukommen lassen und ihr erzählt, es seien Geschenke von ihrem Sohn, den sie über alles liebt. Das ist eine hasanna, eine gute Tat.» Hani ließ seine Worte ein wenig nachhallen.
    «Ist sie im Gefängnis?», fragte Mustafa. Seine Hände zitterten immer noch. Hani reichte ihm eine Zigarette und gab ihm Feuer.
    «Was redest du denn da? Natürlich nicht. Klang sie etwa, als säße sie im Gefängnis? Sie ist glücklich. Und ich wünsche mir, dass das auch so bleibt, bis ans Ende ihrer Tage.»
    Von der Zimmerecke aus beobachtete Ferris das Ganze mit großen Augen. Er wagte kaum, sich zu rühren, um Hani nur ja nicht aus dem Rhythmus zu bringen. Obwohl sein eigener Arbeitgeber diese Show in mancher Hinsicht finanziert hatte, war Ferris selbst jetzt nur Zuschauer.
    Das Schweigen hielt ein paar Sekunden an, während Mustafa über seine Lage nachdachte. Sie hatten seine Mutter. Und ihn hatten sie zum Helden stilisiert. Wenn sie wollten, konnten sie ihn und seine Mutter vernichten. So sah es aus.
    «Und was wollen Sie von mir?», fragte er schließlich. Ferris lauschte angestrengt, damit ihm auch nicht ein arabisches Wort entging. Es kam ihm vor, als erlebe er die einzige Aufführung eines Meisterwerks. Hani hatte den Mann nicht angerührt, ihm nicht offen gedroht und bisher auch nicht versucht, ihn zum Überlaufen zu bewegen. Gerade das war ja das Schöne an dieser Operation. Hani hatte einen Strudel erzeugt, in den sein Opfer jetzt ebenso unfreiwillig wie unaufhaltsam hineingezogen wurde.
    «Wir möchten, dass du uns hilfst», sagte Hani. «Was du tun sollst, ist ganz einfach. Wir möchten,
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