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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte
Autoren: Ignatius David
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abhängiger von Hani Salaam war, als ihr guttat. Als kommissarischer Leiter des Büros in Jordanien hatte Ferris die Aufgabe, für gute Beziehungen zum Chef der dortigen Geheimpolizei zu sorgen. Es war also eine große Sache, dass Dean Martin ihn zwei Tage zuvor höchstpersönlich darum gebeten hatte, sich einer Operation in Deutschland anzuschließen. Die Bürohengste aus der Nahost-Abteilung hatten natürlich protestiert: Er solle gefälligst an seinem Schreibtisch bleiben und Anfragen zu der Mailänder Autobombe beantworten. Aber da hatte Ed Hoffman, der Chef der Abteilung, eingegriffen. «Alles Idioten», hatte er über die Untergebenen gesagt, die Ferris’ Reise verhindern wollten, und Ferris nur das Versprechen abgenommen, ihn gleich nach Abschluss der Operation anzurufen.
    Vorsichtig schob der Jordanier die Hintertür auf und bedeutete Ferris und Marwan, ihm zu folgen. In dem dunklen, feuchten Flur lag ein modriger Geruch. Auf den Zehenspitzen seiner handgefertigten Slipper schlich Hani die Betonstufen hinauf, so leise, dass nur sein rasselnder Raucheratem zu hören war. Marwan folgte ihm. Er sah aus wie ein ziemlich heruntergekommener Schlägertyp, den man Ferris zuliebe ein bisschen hergerichtet hatte. An der rechten Wange hatte er eine Narbe, die bis zum Auge hinaufreichte, und sein ganzer Körper war so drahtig und gespannt wie der eines Straßenköters. Während Ferris hinter ihm die Treppe hinaufschlich, fing sein kaputtes Bein wieder zu schmerzen an.
    Marwan zog seine automatische Pistole, deren Halfter sich deutlich unter seiner Jacke abzeichnete. Sie blieben dicht hintereinander und bewegten sich im Gleichschritt voran. Als im Stockwerk über ihnen eine Tür aufging, blieb Hani abrupt stehen. Er machte Marwan ein Zeichen, der nickte und stützte die Hand mit der Waffe auf dem Oberschenkel ab – doch es war nur eine ältere deutsche Dame, die mit ihrem Rollwägelchen zum Einkaufen aufbrach. Sie ging an den drei Männern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
    Hani stieg weiter die Treppe hinauf. In Amman hatte er Ferris nur erzählt, dass er diese Operation schon seit Monaten vorbereite. «Kommen Sie doch mit, und schauen Sie zu, wie ich den Burschen erlege»– das waren seine Worte gewesen. Ferris war sich nicht sicher, ob Hani und Marwan tatsächlich vorhatten, jemanden zu erschießen. Streng genommen war es natürlich verboten, an einer solchen Aktion teilzunehmen, aber im Hauptquartier würde man schon nichts dagegen haben, wenn er seinen Bericht entsprechend formulierte. Sie machten längst keinen großen Wind mehr um solche Dinge. Schließlich befand sich Amerika im Krieg. Und in Kriegszeiten galten andere Regeln, das sagte zumindest Hoffman immer wieder.
    Als sie im dritten Stock angekommen waren, bedeutete Hani Salaam ihnen, stehen zu bleiben. Er zog ein Handy aus der Tasche, hielt es ans Ohr und flüsterte etwas auf Arabisch hinein. Dann nickte er ihnen zu, und sie schlichen zu dritt zur Tür des Appartements. Hani wusste, dass Mustafa Karami an diesem Nachmittag zu Hause sein würde. Im Grunde wusste er praktisch alles über ihn: wo er arbeitete, was für Gewohnheiten er hatte, mit wem er als Junge in Zarqa befreundet gewesen war und welche seiner Angehörigen noch in Amman lebten. Er wusste, in welche Berliner Moschee der Mann zum Beten ging, welche Handynummern er verwendete und welche hawala ihm Geld aus Dubai überwies. Vor allem aber wusste er, dass Mustafa Karami sich in Afghanistan der al-Qaida angeschlossen hatte und immer noch mit ihr in Kontakt stand. Man konnte gewissermaßen behaupten, dass Hani den Mann studiert hatte. Jetzt war es Zeit für die Abschlussprüfung.
    Als Hani sich der Tür näherte, brachte Marwan seine Waffe in Anschlag. Ferris hielt sich ein paar Meter hinter ihnen im Dunkel des Flurs. Er griff unter den Mantel, wo seine eigene Waffe in ihrem Halfter steckte, und schloss die rechte Hand um den geriffelten Metallgriff. Aus einer anderen Wohnung weiter oben hörte er gedämpfte arabische Musik. Hani hob die Hand, um zu signalisieren, dass er bereit war. Er klopfte einmal nachdrücklich an die Tür, wartete einen Augenblick und klopfte dann noch ein zweites Mal.
    Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und jemand knurrte auf Deutsch: «Ja, bitte?» Karami hatte die Kette vorgelegt und äugte misstrauisch durch den Türspalt. Als er die fremden Gesichter sah, wollte er die Tür gleich wieder zuschlagen, doch Hani schob rasch den Fuß dazwischen.
    «Hallo,
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