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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte
Autoren: Ignatius David
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schwarzes Haar und weiche Züge. Ständig schien ein Lächeln um seinen Mund zu spielen, und in seinen Augen lag ein Funkeln, das Neugier und Interesse signalisierte, auch wenn er nichts dergleichen empfand. Seinen einzigen körperlichen Makel, ein leichtes Humpeln, verdankte er einer Panzerfaust, die sechs Monate zuvor auf einer Straße nördlich von Balad im Irak auf seinen Wagen abgefeuert worden war. Ferris hatte Glück gehabt: Sein Bein war zwar von Granatsplittern durchsiebt worden, aber er hatte überlebt, während der irakische Agent, der den Wagen fuhr, gestorben war. Gute Geheimdienstagenten sind angeblich farblose Menschen, deren Gesicht man in einem belebten Raum gleich wieder vergisst. Daran gemessen hatte Ferris den falschen Beruf gewählt. Ihm sah man auf den ersten Blick an, dass er hungrig und ungeduldig war und etwas zu suchen schien, was er bisher noch nicht gefunden hatte.
    Hinter Hani und dessen Assistenten Marwan stieg Ferris über den Abfall, der aus den überquellenden Mülltonnen auf den Weg gefallen war, und arbeitete sich bis zum Hintereingang vor. Die Hauswände waren mit Graffiti beschmiert, große, dicke Lettern, ein Mischmasch aus Türkisch und Deutsch. Gleich neben der Tür stand ein Wort, das man als «Allah», aber auch als «ABBA» lesen konnte. Hani legte den Finger an die Lippen und deutete zu den Fenstern im dritten Stock hinauf. Hinter schmutzigen braunen Vorhängen schimmerte etwas Licht hervor. Die Zielperson war zu Hause, aber das war nicht weiter verwunderlich. Hanis Leute hatten die Wohnung seit Monaten unter Beobachtung. Sie machten keine Fehler.
    Der Jordanier Hani Salaam war ein gewandter, elegant gekleideter Mann. Sein Haar war glänzend schwarz, zu schwarz für jemanden Ende fünfzig, aber der grau melierte Schnurrbart verriet sein wahres Alter. Er leitete das General Intelligence Department, das GID, wie sich die jordanische Geheimpolizei nannte, und er war ein Ehrfurcht gebietender, eloquenter Mann, der gewöhnlich mit dem osmanischen Ehrentitel «Hani Pascha» angesprochen wurde – in Jordanien sprach man das Wort mit einem weichen «B«–Laut, sodass es wie «Bascha» klang. Anfangs hatte Ferris sich ein bisschen vor ihm gefürchtet, aber nach ein paar Wochen fing er an, ihn als arabische Version von Dean Martin zu betrachten. Hani Salaam war ein cooler Hund, von den auf Hochglanz polierten Schuhen bis hinauf zu den rauchfarbenen Gläsern seiner Sonnenbrille.
    Wie die meisten erfolgreichen Männer im Nahen Osten wirkte auch er zurückhaltend, beinahe reserviert, und seine formvollendeten Manieren muteten zunächst fast britisch an, ein Überbleibsel des einen Semesters, das er vor langer Zeit einmal in Sandhurst verbracht hatte. Doch den Kern seines Wesens bildete der ebenso großherzige wie geheimnisvolle Geist eines beduinischen Stammesfürsten. Er war ein Mensch, der einem niemals alles sagte, was er wusste.
    Als Hani zum ersten Mal mit Ferris durch das Hauptgebäude des GID in Amman ging, hatte er gescherzt, die Jordanier hätten solche Angst vor der Geheimpolizei, dass sie deren Hauptsitz gern als «Fingernagelfabrik» bezeichneten. «Das ist natürlich blanker Unsinn», fuhr er mit abschätziger Handbewegung fort. Er würde es seinen Leuten selbstverständlich niemals gestatten, jemandem die Fingernägel auszureißen. Das führte ja auch zu nichts: Die Gefangenen sagten einem alles, was man hören wollte, damit es nur nicht mehr wehtat. Hani hatte nichts dagegen, für grausam gehalten zu werden, aber er verabscheute den Gedanken, man könnte ihn für ineffizient halten. Bei dieser ersten Begegnung hatte er Ferris auch erzählt, wie er vorging, wenn er einen neuen al-Qaida-Gefangenen bekam: Er setzte ihn – meist waren es junge Kerle – in das Verhörzimmer, das in Jordanien nur «das blaue Hotel» hieß. Dann zwang er ihn, ein paar Tage lang wach zu bleiben, und zeigte ihm anschließend ein Foto seiner Mutter, seines Vaters oder auch seiner Geschwister. Häufig reichte das schon. Familienangehörige, hatte Hani Ferris anvertraut, bewirkten sehr viel mehr als tausend Hiebe vom Gefängniswärter. Sie untergruben die Bereitschaft zu sterben und stärkten den Lebenswillen.
    Zu Hause in Langley bezeichneten sie Hani immer als «Profi». Darin lag etwas Herablassendes, wie bei einem Weißen, der über einen redegewandten Schwarzen sagt, er könne sich «gut ausdrücken». Doch vor allem verschleierte dieses Lob die Tatsache, dass die CIA inzwischen sehr viel
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