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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte
Autoren: Ignatius David
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Kreuzfahrer. Für die Araber waren sie ein und dasselbe geworden. Ferris wollte so schnell wie möglich wieder an die Arbeit gehen und etwas dafür tun, dass diese zornigen Menschen nicht noch mehr Unheil anrichteten. Obwohl es später Nachmittag war, würden die meisten Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft bestimmt noch an ihrem Arbeitsplatz sein. Er selbst würde Hoffman anrufen, seine Nachrichten abhören und verschlüsselte Botschaften beantworten, die während seiner Abwesenheit für ihn gekommen waren. Außerdem würde er sich eine Antwort auf die Frage überlegen, wie er, Roger Ferris, die Bombenleger stoppen wolle, bevor sie in Peoria oder Petaluma ihr Unwesen trieben.
    Die Plakattafeln entlang der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt von Amman konnten einen fast glauben machen, dass es noch immer einen weltweiten Aufschwung gab: Die Tarife mehrerer miteinander konkurrierender Mobilfunknetze wurden ebenso angepriesen wie Immobilien am Strand von Dubai, die Citibank und das Hotel Four Seasons sowie eine Unzahl diverser Dienstleistungen, die eine globalisierte Marktwirtschaft über der arabischen Wüste ausgegossen hatte. Dazwischen sah man immer wieder riesige Bilder des jungen Königs, entweder in arabischer Stammeskleidung (die an ihm fast lächerlich wirkte, weil er sie im richtigen Leben so gut wie niemals trug) oder in inniger Umarmung mit seinem verstorbenen Vater – als sollte suggeriert werden, der alte Mann sei irgendwie doch noch am Leben. Diese Aufnahmen waren nichts anderes als Amulette eines nationalen Selbstbewusstseins, mit denen einer zunehmend nervösen Stimmung in der Bevölkerung entgegengewirkt werden sollte. Jordanien war nach wie vor das Land der Lügen und der Geheimnisse, in dem das einzige wahre Ziel der Politik das Überleben war.
    Ferris mochte Amman trotzdem. Mit ihren weiß getünchten, fast klösterlich wirkenden Häusern verkörperte die Stadt für ihn die trockene Reinheit der Wüste, von der ihm manchmal fast schwindelig wurde und die einmal in jedem Jahrtausend die Menschen so verrückt machte, dass sie eine neue Religion erfanden. Selbst um die Mittagszeit im Hochsommer fühlte man sich in Amman eher wie in einer belebenden Sauna als in einem ermüdenden Dampfbad wie beispielsweise im Jemen oder einem Glutofen, mit dem Ferris das gnadenlos heiße Balad häufig verglich. In Amman hatte sich außerdem viel von den ursprünglichen arabischen Lebensformen erhalten, zu denen es wohl auch gehörte, dass selbst hier, an der Flughafenautobahn, zehnjährige Jungs in kleinen Buden Obst und Gemüse verkauften und aromatisch bitteren arabischen Kaffee in winzigen Tassen ausschenkten. Hin und wieder trieben auch Schafhirten, die in ihren langen, wallenden Umhängen aussahen, als wären sie soeben aus einer Zeitkapsel gefallen, in aller Seelenruhe ihre blökende Herde über die Schnellstraße. Auch wenn sich Jordanien alle erdenkliche Mühe gab, wie ein westliches Land zu wirken, war und blieb es doch immer tiefster Orient. Und so fanden sich auf seinen Märkten immer noch jene typischen Gewürzverkäufer, Wahrsager und Waffenhändler, deren geheimnisvolles Treiben nichts mit der aus dem Westen importierten Welt von McDonald’s, Coca-Cola und Vodafone zu tun hatte.
    Gut zu leben war vielleicht nicht die beste Form der Rache, aber eine andere stand den Palästinensern, die inzwischen die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung ausmachten, meist nicht zur Verfügung. Diejenigen von ihnen, die sich in Doha und Riad ein kleines Vermögen erarbeitet hatten, bauten sich davon in Amman großzügige Villen, in die sie sich gegenseitig einluden, um miteinander Geschäfte zu machen, ihre Gäste zu unterhalten und auf westliche Art ihre schönen Frauen zur Schau zu stellen. Kosmetische Chirurgie war eine der gefragtesten Dienstleistungen im neuen Amman geworden, und eine Frau wurde erst nach einer Nasenoperation oder einer Brustvergrößerung gesellschaftlich wirklich anerkannt. Es war wie ein Los Angeles ohne Meer. In Amman wurde sogar eine Zeitschrift namens Living Well herausgegeben, die junge arabische Frauen darüber informierte, wo man Bikinis, Sex and the City-DVDs und Möbel im Retro-Design kaufen konnte. Und die reichen Flüchtlinge, die in letzter Zeit aus dem Irak gekommen waren, gaben der Stadt ihre eigene, nicht ganz unproblematische Note, indem sie ihre neu erworbenen Häuser von ganzen Armeen von Schlägern bewachen und vor anderen Armeen von Schlägern beschützen
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