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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war
Autoren: Pierre Bellemare
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bemühen, ihn nicht zu beschädigen!« — Englischer Humor, wie er im Buch steht!
    Endlich hat der Oberst seinen Revolver in Anschlag gebracht. Die Viper ringelt sich um Higgins’ Wade. Sie ist mindestens sechzig Zentimeter lang. Ihr gräßlicher Kopf, charakteristisch platt und dreieckig liegt auf dem Knie des Majors. Im Zelt herrscht Totenstille. Sekunden vergehen — Minuten? Eine Ewigkeit! Auf einmal fragt der Oberst mit ganz ruhiger Stimme, in dem ebenso höflichen wie unterkühlten englischen Ton, der jegliches Gefühl vermissen läßt:
    »Higgins, was ist Ihnen lieber? Soll ich Ihnen das Knie zertrümmern oder soll sie in Ihre Hose weiterkriechen?«
    Die Shorts der britischen Armee sind sehr lang und sehr weit. Kalter Schweiß perlt auf Higgins’ Stirn. Die Karten hat er auf den Tisch gelegt, seine Unterarme liegen flach auf. Er sitzt vollkommen reglos — seit unendlich vielen Minuten. Seine Kameraden können ihre Haltung wenigstens ganz leicht verändern. Er aber darf sich auch nicht die geringste Bewegung erlauben. Gegen den Biß dieser Schlange hilft kein Serum. Nach drei Minuten wäre er tot.
    Schließlich trifft der arme Higgins seine Entscheidung: »Oberst, zerschießen Sie mir das Knie!« Der Oberst zögert noch. Einem Menschen das Knie zu zertrümmern, das heißt immerhin, ihn für immer zum Krüppel zu machen. Doch dann richtet er langsam den Lauf seines schweren Ordonnanz-Revolvers auf das Ziel. Aus dieser kurzen Entfernung wird die Kugel den schrecklichen Vipernkopf zerfetzen. Aber auch Higgins’ Knie. Und es besteht durchaus die Gefahr, daß das tödliche Gift vielleicht doch mit seinem Blut in Berührung kommt... Vielleicht wird er ihm auch die Schlagader zerreißen. Die Schlange müßte ein wenig weiterkriechen. Nur zwei, drei Zentimeter! Nicht weiter, sonst verschwindet der Kopf im Hosenbein.
    »Higgins, ich werde Ihnen wahrscheinlich den Oberschenkel zerschmettern, das ist nicht so schlimm wie das Kniegelenk. Ich kann nicht mehr warten!«
    Higgins ist am Ende seiner Kräfte. Trotzdem klingt seine Stimme stark und unglaublich gleichmütig: »Oberst, vor allen Kameraden, die hier Zeugen sind, bitte ich Sie, endlich zu schießen!«
    Der Oberst drückt ab, die Schlange ist enthauptet, aber die Kugel zerschlägt auch den Schenkelknochen. Der Spuk ist vorüber. Sechs Monate später kehrt Higgins ins Zeltlager des Regiments zurück — auf Krücken. Er wurde in Neu-Dehli verarztet, so gut es damals 1912 ging. Jetzt muß er den Dienst quittieren. Doch bevor er nach England zurückkehrt, möchte er sich von seinen Kameraden verabschieden.
    Die witzeln und spaßen herum wie früher, heute jedoch, um ihre Rührung zu verbergen: »Na Higgins, du alter Glückspilz! Komm, spiel noch eine Partie Whist mit uns!«
    Und sie setzen sich alle ins Zelt, wie damals vor sechs Monaten. Higgins Kameraden werfen sich verstohlen Blicke zu. Der gute alte Andrew! Sie können ihn doch nicht einfach gehen lassen, ohne ihm noch einmal einen ordentlichen Streich zu spielen. Sie müssen ihn noch einmal wütend erleben! Mitten im Spiel zeigt plötzlich ein Offizier auf das heil gebliebene, rechte Bein von Higgins und schreit ganz aufgeregt: »Higgins! Eine Schlange! Da! Schon wieder!«
    Und es funktioniert. Dieses Mal erstarrt der arme Major nicht auf seinem Stuhl, sondern macht, wie erwartet, einen Satz, daß ihm die Karten aus der Hand fliegen.
    Zuerst wird er weiß vor Zorn, dann rot. Einen Augenblick lang sieht man, wie sein empörtes Gesicht sich verzerrt, so als wolle er sagen: »Das ist gemein..., verdammte Kerle..., arme Idioten!« Aber er sagt nichts mehr. Er fällt um und ist tot. Früher war er lediglich ein Choleriker gewesen. Seit dem Unfall aber war er ein schwer herzkranker Mann geworden. Seine Freunde wußten es nicht. So hat ihn die Schlange letztlich doch getötet.
     

Zärtlichkeit
     
    M an stelle sich einmal einen kleinen verträumten Platz vor, mit leise rauschenden Bäumen ringsherum und einem alten Brunnen in der Mitte. In Südfrankreich vielleicht oder auch irgendwo in Bayern, das ist ganz egal. Auf diesem Platz eine Bank und auf der Bank einen Alten. Oder besser: einen Senioren, einen »Ur-Senioren« geradezu, denn Monsieur Careux ist bereits 92 Jahre alt. Ein alter Opa also, der Liebling der Kinder. Das heißt, das war einmal, bis vorgestern. Die Gutmütigkeit seines Schwiegersohnes hat sich aber im Laufe der Jahre erschöpft, und vor zwei Tagen sagte er zu seiner Frau:
    »So geht es nicht
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