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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war
Autoren: Pierre Bellemare
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aber in Anbetracht der Dringlichkeit hat der Intelligence Service bestimmt mehrere »Jäger« losgeschickt. Randolph ist sicherlich nicht der einzige.
    Er hätte auch ablehnen können. Er hat es nicht getan — aus Gründen, die er nicht einmal klar zu analysieren vermag. Außerdem wurde er auch gar nicht gefragt, ob er mit dem Sonderauftrag einverstanden sei oder nicht. Die Zeiten, der Krieg, die Gefahr, daß wichtige Informationen in die Hand des Feindes geraten können, wodurch das Leben vieler Menschen gefährdet wäre, vielleicht sogar die Zukunft des Landes — all das rechtfertigt ganz sicher eine gewisse Unmenschlichkeit.
    Er wurde auch nicht gefragt, wie es um seine augenblicklichen Gefühle für seine Ex-Frau bestellt ist. Die Antwort wäre einfach gewesen: Kann man jahrelang eine Frau lieben und dann mit aller Seelenruhe an ihren Tod denken? Selbst wenn diese Frau ihn verlassen, ihn betrogen hat, selbst wenn sie seine Gutmütigkeit und seine Liebe nur ausgenützt hat! Irgend etwas bleibt immer...
    Randolph war das Opfer bei diesem Schiffbruch. Aber diese Details stehen nicht in den Akten des Intelligence Service. Dort steht nur:
    Scheidung 1935.
    Name der Ehefrau: Selena, geborene Robbins.
    Jetzt 36 Jahre alt, ohne Beruf, 1 Meter 63, 55 Kilo, helle Haut, braune Haare, grüne Augen.
    Das Foto, das der Chef Randolph zeigte, schien erst vor kurzem aufgenommen zu sein. Selena sitzt auf der Terrasse eines Restaurants. Sie lächelt jemanden an, der ihr gegenübersitzt. Natürlich einen Mann. Selena würde niemals mit einer Frau in einem Restaurant sitzen. Ob sie sich verändert hat? Ein bißchen, ja. Das Gesicht ist nicht mehr ganz so rund, weniger kindlich vielleicht, der Blick ist herausfordernd, im ganzen wirkt sie viel unnatürlicher — so, als hätte sie gelernt, ihren Charme gezielt einzusetzen.
    »Sie macht es nur wegen des Geldes«, hatte der Chef gesagt. Ja, davon ist auch er überzeugt, aber das ist keine Entschuldigung. Für Selena bedeutet Geld alles, was ihr im Leben wichtig ist: Kleider. Juwelen, Autos, Parfüm. Sie konnte immer schon ein Vermögen ausgeben für diese lächerlichen Dinge — auch wenn kein Geld da war. Irgendwie hatte sie doch immer wieder welches. Randolph hatte längst aufgegeben, sie zu fragen, wie sie das eigentlich machte — lange schon vor der Scheidung. Selena hatte nie Skrupel, wenn es darum ging, aus jemandem Geld herauszulocken. Hauptsache, sie konnte damit irgendeine kostspielige Laune befriedigen.
    Ganz gleich, wie sie nun zur Spionin wurde, auf alle Fälle ist ihr bestimmt nicht bewußt, daß sie damit ihr Land verrät! Aber jetzt steckt sie ihre hübsche Nase in einen internationalen Konflikt, und durch ihre Schuld geraten Menschen in Lebensgefahr. Und wenn sie auf jenem Foto auch noch so lächelt — sie lächelt bereits den Tod an.
    Randolph Stillway muß einen klaren Kopf bewahren und sich beherrschen. Die Erinnerungen dürfen nur ganz sachlich und völlig emotionslos wieder hervorgeholt werden, wenn er sich entschließt, den Befehl auszuführen — wenn er fähig ist, diese Frau auszuliefern, und wenn er es überhaupt schafft, sie zu finden.
    Einen ganzen Tag lang hat er nachgedacht. Dann hat er seinem Chef einen Brief geschrieben. Einen langen Brief, der ihm auch geholfen hat, an diesem Tag seine eigenen Gedanken zu ordnen. Darin erzählt er von sich und Selena. Und er erklärt, warum er sich entschlossen hat, den Befehl auszuführen — und warum er dennoch nicht gehorchen wird.
    Er hat alle Möglichkeiten überschlagen, wie er Selena finden könnte: Es gibt ein Haus in der Nähe von Brighton, direkt am Strand: das Haus ihrer Kindheit. Dort haben sie auch ihre Hochzeit gefeiert und später oft glückliche Ferien verbracht. Es ist ein winziges Haus in schlechtem Zustand. Schon zur Zeit der Scheidung lohnte es sich nicht mehr, es zu renovieren. Seit langem unbewohnt, wäre es sicherlich ein sehr diskreter Zufluchtsort. Eine andere Möglichkeit wäre ein Hotel. Selena haßt Hausarbeit. Wenn sie alleine lebt, zieht sie es bestimmt vor, in einem kleinen Hotel zu wohnen, als jeden Morgen selbst ihr Bett zu machen. Und im Restaurant zu essen ist ihr sicherlich lieber, als einzukaufen, zu kochen und abzuspülen. Sollte sie also Geld haben — und es scheint so zu sein —, so hat sie vielleicht diese Lösung gewählt.
    Es gibt viele Hotels in London, doch Randolph erinnert sich an sein letztes Zusammentreffen mit Selena. Das Hotelzimmer, das zerwühlte Bett, die
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