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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war
Autoren: Pierre Bellemare
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Kirche war außer uns nur noch der alte Pfarrer.
    Da kam der junge Deutsche herein. Zuerst hatten wir Angst vor ihm. Er hielt ein Gewehr im Anschlag und sah wirklich zum Fürchten aus. Aber als er bemerkte, daß wir uns um eine Verletzte kümmerten, um ein Mädchen — da war es um ihn geschehen. Er hatte noch niemals Blut gesehen...«
    Die junge Blinde fragt: »Und wie sah er aus, dieser junge Deutsche?«
    »Blond, kurze Haare, blaue Augen und sehr schlank. Er war müde und kam mit schleppenden Schritten in die Kirche. Jedenfalls war er noch sehr jung. Ohne Stahlhelm und Uniform hätte er wahrscheinlich sehr nett ausgesehen. Schade, als du im Krankenhaus wieder zu Bewußtsein kamst, mußte er gehen. Weil er kein Wort französisch konnte, wußte er auch nicht, was er dir sagen sollte. Er hat dich auf deutsch um Verzeihung gebeten.«
    »Es waren die ersten Worte, die ich hörte, als ich wieder aufwachte«, erinnert sich die junge Blinde. »Ich hätte ihn gern kennengelernt...«
    »Ja, ja«, entgegnet der Vater. »Das ist schade. Wahrscheinlich hat er uns sogar seinen Namen gesagt, aber ich habe ihn nicht richtig verstanden. Ich würde ihn auch gern wiedersehen. Er war so betroffen, daß ich sicher war, er würde nach dem Krieg versuchen, dich wiederzufinden. Vielleicht ist er auch gefallen, der arme Junge!«
    Die Zeit vergeht. Wir schreiben mittlerweile das Jahr 1978 und sind nicht mehr im Garten des kleinen Hauses in Beaulieu, sondern auf der Terrasse eines Wohnblocks am Cap Ferrat, am Fuß der Hügel von Villefranche. Auf der Terrasse sitzt ein alter Mann mit Brille und liest im »Nice-Matin«. Der Alte läßt die Zeitung auf den Schoß sinken und sagt zu seiner Frau:
    »Yvonne, hörst du?«
    »Ja.«
    »Sieh mal, was hier steht: >Wir trauern um Hermann Ropp, der am 18. Februar einem Herzanfall erlegen ist. Er stand im 52. Lebensjahr. In Villefranche, wo er seit zwanzig Jahren lebte, und am Flughafen Nizza, wo er das Lufthansabüro leitete, hatte Hermann Ropp nur Freunde. Seiner Familie drücken wir unser herzlichstes Beileid aus.<«
    Das Ehepaar sieht sich an. Der Name kommt ihnen bekannt vor. »Es ist vielleicht verrückt, aber ich glaube«, sagt der Mann, »das war der Name des deutschen Soldaten in der Kirche von Béthune, der Rose das Leben rettete.«
    Der alte Mann steht auf und ruft die Redaktion des »Nice-Matin« an. Minuten später hat er die Nummer gewählt, die man ihm gegeben hat. Eine alte Frau mit deutschem Akzent meldet sich:
    »Hallo!«
    »Ist das die Nummer von Hermann Ropp?«
    »Ja, ich bin seine Mutter, aber mein Sohn ist vorgestern gestorben.«
    »Mein Beileid, Madame. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Entschuldigen Sie, daß ich Sie in dieser Situation belästige. Aber ich möchte Sie etwas fragen: War Ihr Sohn im Krieg?«
    »Ja.«
    »Ist er bei der deutschen Offensive durch Béthune gekommen? Hat er von dieser Zeit erzählt?«
    »Ja, warum fragen Sie?«
    »Weil ich damals mit meiner Familie in Béthune war. Meine Tochter wurde verletzt und...«
    Die alte Frau unterbricht ihn: »Rose. Heißt Ihre Tochter Rose?«
    »Sie hieß Rose, sie ist vor drei Monaten gestorben.« Lange hört man nichts.
    »Hallo?« fragt der Vater endlich, »sind Sie noch da?«
    »Ja, ich bin noch da«, sagt die alte Frau nun wieder, aber mit brüchiger Stimme. Sie weint. »Er hat Ihre Tochter so gesucht. Monsieur, viele Jahre lang. Von wo rufen Sie an?«
    »Von Beaulieu.«
    »Ich bin in Villefranche. Ich lebe seit zwanzig Jahren mit meinem Sohn in Villefranche.«
    »Und wo sind Sie?«
    »Oberhalb der Corne d’Or. Das große Hochhaus an der Straße. Und Sie?«
    »Unten, am Cap Ferrat, in dem Haus, das am Ortseingang steht.«
    »Aber dann kann ich Ihr Haus ja von hier aus sehen!« Unten geht der alte Mann mit dem Telefon in der Hand auf seine Terrasse, blickt nach oben und sieht auf dem Hügel das Hochhaus. »Ich auch, Madame. Ich sehe Ihr Haus. Ich kenne es seit zwanzig Jahren. Die große Terrasse, Madame, wir haben die Wohnung im ersten Stock mit der großen Terrasse. Wo meine Tochter oft lag und Musik hörte.«
    »Auf einem Korbstuhl?«
    »Auf einem Korbstuhl, ja Madame, das war sie!«
     

35 874 Steine
    18. Januar 1926. Ein Zwanzigtausend-Tonnen-Frachter läuft in den New Yorker Hafen ein. Der Zollbeamte fragt den Kapitän: »Was haben Sie zu verzollen?«
    »Steine. Nur Steine.«
    »Was soll das heißen: Steine?«
    »Na. Steine halt! 12 000 Tonnen Steine.«
    »Und was für Steine? Wer importiert schon Steine in die
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