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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war
Autoren: Pierre Bellemare
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USA? Was soll das?«
    Der Frachterkapitän zeigt gelangweilt auf einen hemdsärmeligen jungen Mann, der gerade an Deck kommt. »Fragen Sie mich nicht. Die Steine gehören dem Herrn da. Ich habe zwar 12 000 Tonnen an Bord, aber als Fracht würde ich das nicht gerade bezeichnen. Eher als... als >Reisegepäck<. als Reisegepäck dieses Mannes. Also, wenn Sie was wissen wollen, fragen Sie ihn doch selbst!«
    Der Hafenbeamte geht zu dem Mann und wiederholt seine Frage: »Was haben Sie zu verzollen?«
    »Zu verzollen? Nur Steine. 12 000 Tonnen Steine.«
    »Aha. Nur 12 000 Tonnen Steine... Und was für Steine, wenn ich fragen darf?«
    »Quadersteine.«
    Der Beamte rückt seine Mütze zurecht. »Moment mal. Also, wenn ich Sie richtig verstehe..., Sie behaupten also, daß Sie 12 000 Tonnen Quadersteine in die USA importieren. Und wozu? Was wollen Sie damit? Und... wo kommen die Steine überhaupt her?«
    »Aus Spanien. Damit soll ein Kloster gebaut werden.«
    »Ein was???«
    »Ein Kloster. Sie wissen schon, so ein Gebäude, wo Mönche oder Nonnen drin leben.«
    Der Beamte verliert allmählich die Geduld. »Und warum brauchen Sie ausgerechnet spanische Steine? Sind unsere amerikanischen Steine dafür etwa nicht gut genug?«
    »Sicher. Aber darum geht es ja gar nicht. Wissen Sie, diese Steine hier, die sind eigentlich schon ein Kloster. Mein Chef hat das Kloster in Spanien gekauft, verstehen Sie? Und ich bekam von ihm den Auftrag, das Kloster abzubauen und einzuschiffen. So einfach ist das. Und jetzt muß ich die Steine also abladen und das Kloster wieder aufbauen. Wenn Sie so wollen, man könnte auch sagen... na ja, daß ich eigentlich ein Kloster zu verzollen habe. Aber andererseits stimmt es auch wieder nicht, denn es liegt ja nur in Stücken herum. Also habe ich doch nur Steine zu verzollen. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich auf dem Zollformular schreiben würde: >Kloster zu verzollen    Der amerikanische Zollbeamte scheint leicht überfordert. Er legt seine Stirn in Falten, überlegt sehr lange... und hat endlich die Lösung: »Also gut. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie kommen jetzt mit zum Chef und erzählen ihm die ganze Geschichte von vorn. O. K.?«
    Der hemdsärmelige junge Mann seufzt verständnisvoll. »Wissen Sie, das war mir von Anfang an klar...«
    Kein Wunder. Es ist nicht das erste Mal, daß Larry Stevel Schwierigkeiten hat mit seinen Steinen, seitdem er sich auf das irrsinnige Abenteuer mit dem Sacramenia-Kloster eingelassen hatte. Und wenn er in diesem Augenblick auch nur die Spur einer Ahnung gehabt hätte, was noch alles auf ihn zukommen würde — wahrscheinlich hätte er auf der Stelle, hier im New Yorker Hafen, endgültig aufgegeben.
    Larry Stevel ist Architekt, ein erstaunlicher junger Mann um die Dreißig. Von Geburt ist er Engländer: sympathisch steif, schlank und distinguiert, trockener Humor, brillanter Student, leidenschaftlicher Liebhaber des guten alten Europa, Doktorarbeit über die Architektur des europäischen Mittelalters. Dies verschafft ihm 1923 die fürchterliche Ehre, vom »Boss« angerufen zu werden. Der »Boss«, wie er von vielen genannt wird, ist William Randolph Hearst, schlicht W. R. für seine Freunde — ein Mann, der genau weiß, was er will, und der daran gewöhnt ist, es auch zu bekommen. Als Sohn eines Farmers rannte er schon mit vierzehn Jahren von einem Antiquitätenladen zum anderen und kaufte alles, was ihm in die Hände fiel. Bereits damals hatte er den sicheren Spürsinn eines alten Fuchses. William Randolph Hearst ist der Leidenschaft für europäische Kunst verfallen. Und er besitzt auch die nötigen Mittel, sich dieses kostspielige Hobby leisten zu können.
    1923 ist er sechzig Jahre alt, Verleger von etwa 25 Zeitungen und einem Dutzend Zeitschriften, Leiter einer Presseagentur und einer Gesellschaft für Filmproduktionen. Seine Villa in Kalifornien ist eine unglaubliche Mischung aus spanischer Kathedrale, mittelalterlicher Burg und Medici-Villa — bizarr, aber wunderschön. Und im Innern schlummert Amerikas wohl prächtigste Sammlung antiker europäischer Kunstwerke — eine
    Sammlung, wie man sie sonst nur in berühmten Museen findet.
    Nur nebenbei: Das Einkommen von W. R. Hearst wird 1923 auf an die 30 000 Dollar geschätzt — pro Tag natürlich!
    Dieser bescheidene Milliardär also läßt Larry Stevel zu sich kommen. W. R. ist wirklich beeindruckend. Seine ganze Persönlichkeit konzentriert sich in seinem Blick, der alles verrät: Intelligenz, Schlauheit,
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