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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe
Autoren: Steve Hamilton
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verschlossen war. War es.
    Ich sah das Markenschild eines Herstellers aus Chicago und wählte die beiden werkseitig voreingestellten »Probe-Kombinationen«, mit denen die Safes geliefert werden. Sie würden sich wundern, wie viele Leute die nie ändern.
    Kein Glück mit beiden. Das hier war ein gewissenhafter Tresorbesitzer, der seine eigene Kombination einstellte. Nun musste ich mich also richtig an die Arbeit machen.
    Ich drückte mich eng an die Wand und legte eine Wange an die Safetür. Zwar ging ich bereits von drei Sperrscheiben aus bei diesem Modell, aber da es mein erster Einsatz war, wollte ich Gewissheit haben. Ich fand den Kontaktbereich, den winzigen Bereich an der Nummernscheibe, in dem die »Nase« des Führungshebels mit der Einkerbung auf der Antriebsscheibe in Berührung kam. Nachdem ich den hatte, »parkte« ich die Sperrscheiben, das heißt, ich drehte zu einer Zahl auf der entgegengesetzten Seite des Kontaktbereichs, drehte anschließend wieder in die andere Richtung und zählte, wie viele Räder vom Mechanismus aufgenommen wurden.
    Eins. Zwei. Drei. Dann war ich sicher. Drei Scheiben.
    Ich drehte zurück, parkte alle Scheiben auf 0 . Dann ging ich wieder zum Kontaktbereich.
    Das war der schwierige Teil. Der so gut wie unmögliche, theoretisch unmögliche Teil. Aufgrund der Tatsache, dass keine Scheibe vollkommen rund ist und keine zwei Scheiben genau gleich groß sind, kommt es zu einem nicht ganz perfekten Kontakt, wenn man über die Einkerbungen an den Sperrscheiben hinwegdreht. Das ist unvermeidlich, egal wie teuer der Safe und wie gut das Kombinationsschloss gebaut ist. Wenn man also bei einer Nut angelangt ist und zum Kontaktbereich zurückgeht, wird er sich ein bisschen anders anfühlen. Der Abstand zwischen den Kontaktpunkten ist ein bisschen kürzer, da die Nase sich ein kleines Stück weiter vorn in die Antriebsscheibe senkt.
    Bei einem billigen Safe spürt man das wie ein Schlagloch in einer glatt asphaltierten Straße. Bei einem guten Safe dagegen? Einem guten, teuren Safe, wie ihn der Eigentümer dieses Hauses in seinen Wandschrank hatte einbauen lassen?
    Da würde der Unterschied sehr gering sein. Winzig klein.
    Ich drehte auf 3 . Dann auf 6 . Dann auf 9 . Begann mit Dreierschritten und testete den Spielraum bei jeder Zahl. Wartete auf dieses spezielle, andere Gefühl. Diese geringfügige Verkürzung im Kontaktbereich. Den hauchfeinen Unterschied, den kein Normalsterblicher wahrnehmen kann. Nie und nimmer, nicht in tausend Jahren.
    12 . Ja, ich war nahe dran.
    Okay, weiter. 15 , 18 , 21 .
    Ich arbeitete mich durch die Nummernscheibe, drehte schneller, wenn es ging, und wurde langsamer, wenn ich jeden Bruchteil eines Millimeters ertasten musste. Ich hörte, wie Manhattan hinter mir sein Gewicht verlagerte. Ich hob die Hand, und er war wieder mucksmäuschenstill.
    24 , 27 . Ja, hier.
    Woher ich das weiß?
    Ich weiß es einfach. Wenn der Abstand kürzer ist, ist er kürzer. Ich fühle das.
    Es ist eigentlich noch mehr als Fühlen. Dieses kleine Stückchen Hartmetall berührt die Einkerbung um Haaresbreite eher als bei der letzten Einstellung, und ich spüre das, höre das, sehe es im Geiste.
    Als ich mit der Nummernscheibe durch war, hatte ich drei angenäherte Zahlen im Kopf. Ich fing von vorn an und grenzte sie ein, bis ich die genauen Stellen hatte, ging diesmal in Einer- statt Dreierschritten vor. Als ich damit fertig war, hatte ich die drei Zahlen der Kombination: 13 , 26 , 72 .
    Der letzte Schritt ist mehr oder weniger öde Routine. Es gibt keine andere Möglichkeit, als die Einstellungen nacheinander durchzuprobieren. Man beginnt also mit 13 – 26 – 72 , vertauscht dann die ersten beiden Zahlen, dann die zweite und die letzte und so weiter, stellt nötigenfalls alle sechs Kombinationen ein. Wobei sechs deutlich besser ist als eine Million – so viele mögliche Kombinationen gäbe es nämlich, wenn man diese drei Zahlen nicht ermitteln könnte.
    Die Kombination in diesem Fall erwies sich als 26 – 72 – 13 . Zeit insgesamt, um den Safe zu öffnen? Ungefähr fünfundzwanzig Minuten.
    Ich drehte den Griff und öffnete die Tür. Dabei machte ich mir den Spaß, Manhattans Gesicht zu beobachten.
    »Leck mich«, sagte er. »Du könntest mich jetzt mit ’nem Knüppel ficken.«
    Ich ging beiseite und ließ ihn tun, was er tun musste. Ich hatte keine Ahnung, was er dort drin zu finden hoffte. Schmuck? Bargeld? Dann sah ich, wie er etwa ein Dutzend Umschläge herauszog, von der
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