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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe
Autoren: Steve Hamilton
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Zuhörer wie ich. Sie sitzen da und hängen sozusagen an meinen Lippen. Wenn ich zu den schlimmen Stellen komme, halten Sie durch und lassen mich alles loswerden. Sie verurteilen mich nicht sofort. Damit will ich nicht sagen, dass Sie mir alles verzeihen werden. Ich verzeihe mir ja selbst nicht alles, darauf können Sie Gift nehmen. Aber Sie werden wenigstens bereit sein, mich ausreden zu lassen und zu versuchen, mich am Ende zu verstehen. Mehr kann ich nicht verlangen, stimmt’s?
    Das Problem ist nur, wo fange ich an? Steige ich direkt in die Tränendrüsenstory ein, macht das den Eindruck, als wollte ich mich von vornherein für all das rechtfertigen, was ich getan habe. Fange ich mit dem Hardcore-Zeug an, halten Sie mich für einen geborenen Verbrecher und schreiben mich ab, bevor ich Gelegenheit hatte, meinen Standpunkt zu vertreten.
    Also werde ich vielleicht ein bisschen hin- und herspringen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Erzählen, wie die ersten richtigen Jobs, an denen ich beteiligt war, abliefen. Wie es war, als der Wunderjunge aufzuwachsen. Wie alles in diesem einen Sommer zusammenkam. Wie ich Amelia kennenlernte. Wie ich mein unverzeihliches Talent entdeckte. Wie ich auf die schiefe Bahn geriet. Vielleicht sehen Sie sich das an und kommen zu dem Schluss, dass ich keine echte Alternative hatte. Vielleicht kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie genauso gehandelt hätten.
    Was ich auf keinen Fall tun kann, ist, mit jenem Tag im Juni 1990 zu beginnen. Darauf kann ich mich noch nicht einlassen. Egal, wie sehr andere Leute versucht haben, mich dazu zu überreden, und glauben Sie mir, es waren eine Menge Leute, und sie haben es verdammt angestrengt versucht … Ich kann nicht damit beginnen, weil ich hier drin schon genug Klaustrophobie bekomme. An manchen Tagen habe ich Mühe, überhaupt regelmäßig zu atmen. Aber möglicherweise gehe ich es irgendwann beim Schreiben an und sage mir, okay, heute ist es so weit. Heute kannst du dem ins Gesicht sehen. Kein Anlauf nötig. Erinnere dich einfach an diesen Tag und lass es raus. Du bist acht Jahre alt. Du hörst das Geräusch an der Tür. Und …
    Scheiße, das ist noch schwerer, als ich dachte.
     
    Ich musste eine kleine Pause machen, aufstehen und ein bisschen herumlaufen, auch wenn man hier nicht weit kommt. Ich habe meine Zelle verlassen und bin runter in den Gemeinschaftsbereich gegangen, wo ich mir im Hauptwaschraum die Zähne geputzt habe. Es war ein neuer Insasse dort, einer, der noch nichts über mich weiß. Als er hallo sagte, wusste ich, dass ich aufpassen musste. Auf einen Gruß nicht zu antworten wird draußen vielleicht höchstens als unhöflich angesehen, hier drinnen aber kann es als Beleidigung aufgefasst werden. Wenn ich in einem richtig schlimmen Knast wäre, wäre ich vermutlich längst tot. Doch selbst hier ist so etwas eine ständige Prüfung für mich.
    Ich reagierte wie gewöhnlich. Zeigte mit zwei Fingern der rechten Hand auf meinen Hals und machte eine schlitzende Geste. Aus mir kommt kein Wort raus, Kumpel. Ist nicht respektlos gemeint. Offensichtlich habe ich’s überlebt, weil ich hier sitze und weiterschreibe.
    Bleiben Sie also dran, denn das ist meine Geschichte, falls Sie dafür bereit sind. Vor langer Zeit war ich einmal der Wunderjunge. Später der Stumme aus Milford. Der Goldjunge. Der junge Ghost. Der Kleine. Der Schrankmann. Der Schlosskünstler. All das war ich.
    Aber Sie dürfen mich Mike nennen.

[home]
    Kapitel zwei
    Nahe Philadelphia
September 1999
    D a war ich also, unterwegs zu meinem ersten richtigen Auftrag. Seit zwei Tagen ununterbrochen auf der Straße, seit ich mein Zuhause verlassen hatte. Das alte Motorrad war kaputtgegangen, als ich gerade die Staatsgrenze nach Pennsylvania überquerte. Es ging mir schwer gegen den Strich, es dort am Straßenrand zurückzulassen, nach allem, was es für mich getan hatte. Die Freiheit. Das Gefühl, dass ich einfach aufspringen und von einem Moment auf den anderen allem davonfahren konnte. Aber verdammt, was blieb mir anderes übrig?
    Ich nahm die Motorradtaschen hinten herunter und streckte den Daumen raus. Versuchen Sie mal zu trampen, wenn Sie nicht sprechen können. Nur zu, versuchen Sie es ruhig mal. Die ersten drei, die anhielten, konnten überhaupt nicht damit umgehen. Es spielte keine Rolle, dass ich ein nettes Gesicht hatte oder ziemlich fertig aussah nach all den einsamen Meilen auf der Straße. Eigentlich sollte es mich inzwischen nicht mehr überraschen, wie panisch die
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