Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
Vom Netzwerk:
die Sonne, nur hin und wieder von weißen Wolken verdeckt, die über den klaren blauen Himmel zogen. Es war der 10. Juni, und die Sommerferien hatten begonnen. Am Freitag hatten sich endlose Reihen von Autos aus der Stadt hinausgeschoben, alle auf dem Weg zu den Sommerhäusern, Bootshäfen und Campingplätzen. Trotzdem war die Stadt noch voller Menschen, die sich dieses Wochenende über, das zudem schön zu werden versprach, an den Ersatz für das Landleben halten mußten, den die Parks und Freiluftbadeanstalten zu bieten suchten.
    Schon morgens um Viertel nach neun stand eine lange Schlange vor der Kasse des Vanadisbadet. Vom Sveavägen her strömten sonnenhungrige und badelustige Stockholmer den Hügel hinauf.
    Zwei ziemlich zerlumpt aussehende Gestalten überquerten bei Rot die Frejgatan. Der eine in Jeans und Pullover, der andere in schwarzen Hosen und brauner Jacke, die sich über der linken Brust bedenklich spannte. Sie gingen langsam und blinzelten mit geröteten Augen in den Sonnenschein. Der Mann mit dem Gegenstand in der linken Innentasche seiner Jacke trat fehl und wäre beinahe mit einem Rad-fahrer zusammengestoßen.
    Der Radfahrer, ein guterhaltener Herr in den Sechzigern in hellgrauem Sommeranzug und mit nasser Bade-hose auf dem Gepäckträger, schwankte und mußte einen Fuß auf die Erde setzen.
    »Trottel«, rief er, ehe er gravitätisch weiterradelte.
    »Idiot«, sagte der Mann mit der Jacke, »verdammter Direktortyp! Beinahe hätte er mich überfahren. Ich hätte hinfallen und die Buddel zerschlagen können.«
    Er stand aufgeregt am Rand des Bürgersteigs und schauderte beim bloßen Gedanken an das Schicksal, dem er gerade entkommen war. Dabei fuhr seine Hand zur Innentasche seines Jacketts.
    »Und meinst du, daß er uns die Buddel ersetzt hätte?« fuhr er fort. »Nicht die Bohne.
    Der hockt in seiner Luxuswohnung am Norr Mälarstrand und hat den ganzen Schrank voll Champagner. Aber einem armen Hund wie mir eine lumpige Buddel zu ersetzen, die er zerschlagen hat, daran denkt der Affe nicht. Blödes Kapitalistenschwein.«
    »Er hat sie ja nun wirklich nicht zerschlagen«, wandte sein Begleiter beruhigend ein. Er war bedeutend jünger und nahm nun seinen aufgebrachten Kollegen am Arm und lotste ihn durch den Park. Sie gingen den Hügel hinauf, aber nicht in Richtung Badeanstalt, sondern am Zaun entlang. Später bogen sie in den schmalen Weg ein, der von der Stefan-skyrkan auf die Kuppe des Hügels führte. Sie gingen mühsam und keuchten in dem kräftigen Gegenwind. Auf halber Höhe sagte der Jüngere:
    »Manchmal findet man etwas Kleingeld hinter dem Turm, wenn am Abend zuvor dort Karten gespielt wurde. Vielleicht kriegen wir genug zusammen für einen Flachmann, ehe der Schnapsladen zumacht.«
    Es war Sonnabend, und die Spirituosengeschäfte schlössen um ein Uhr.
    »Blödsinn, es hat ja gestern abend geregnet.«
    »Stimmt«, gab der Jüngere seufzend zu.
    Der Weg führte am Zaun der Badeanstalt entlang. Dort drinnen wimmelte es von Badenden. Einige waren braun wie Neger, andere wirkliche Neger, die meisten aber waren blaß nach einem langen, sonnenlosen Winter ohne eine Ferienwoche auf den Kanarischen Inseln.
    »Du, wart mal, sehen wir uns mal die Mädchen an«, sagte der Jüngere.
    Der Ältere ging weiter, ohne sich um ihn zu kümmern. »Was soll der Quatsch. Komm schon. Ich bin durstig wie ein Kamel.«
    Sie gingen weiter zum Wasserturm auf der Hügelkuppe. Als sie auf die Rückseite des düsteren Gebäudes kamen, stellten sie zu ihrer Erleichterung fest, daß sie das Feld für sich allein hatten. Der Alte ließ sich im Gras nieder, zog die Flasche heraus und schraubte den Verschluß ab. Der Jüngere war weiter gegangen zu einem vermorschten Holzzaun und rief: »Du, Joke, komm, wir setzen uns hierher. Falls jemand kommt.«
    Joke erhob sich stöhnend, die Flasche in der Hand, und folgte dem Jüngeren, der den Felsen hinabzuklettern begann.
    »Hier ist es schön«, sagte der Jüngere, »bei den Büschen hier…« Er blieb plötzlich stehen und beugte sich nach unten. »Um Gottes willen«, flüsterte er. »Oh, um Gottes willen!« Joke trat neben ihn, sah das Mädchen auf der Erde, krümmte sich seitwärts und übergab sich.
    Es lag ausgestreckt auf der feuchten Erde, der Oberkörper war halb von einem Busch verborgen, die Beine waren gespreizt. Das zur Seite geneigte Gesicht war bläulich angelaufen, der Mund geöffnet. Der rechte Arm war wie zum Schutz über den Kopf gebeugt, die linke Hand lag an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher