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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Autoren: John Vermeulen
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werde.«
    Der Pfarrer atmete hörbar durch die Nase ein. »Möchten Sie nun beichten, Meister da Vinci, oder nicht?«
    »Wenn Sie mir erklären können, welchen Sinn das haben soll.«
    »Die Beichte ist ein Ritual, mit dem Sie zu erkennen geben, dass Sie bereuen, was Sie Falsches getan haben. Und dafür erhalten Sie dann die Absolution.«
    »O ja, gewiss bereue ich so manches! Aber auch das dürfte Gott bereits wissen.«
    »Ich bin hier als sein Stellvertreter und…«
    »Können Sie sich durch irgendetwas ausweisen, eine Urkunde oder dergleichen?«
    »Meister da Vinci, warum haben Sie mich eigentlich rufen lassen?«
    »Um einigen Menschen, die mir sehr am Herzen liegen, eine Freude zu machen.«
    »Für mich ungewöhnliche Worte im Angesicht des Todes.«
    »Hm, mag sein, dass Sterbende, die auf Nummer sicher gehen wollen, anders reden.«
    »Das erscheint mir nicht unvernünftig, Meister da Vinci«, entgegnete der Pfarrer sanft. »Möchten Sie denn nicht in Frieden sterben? In der Überzeugung, dass Sie mit allem und jedem im Reinen sind?«
    »Ach, das wäre scheinheilig. Warum sollte ich anders sterben, als ich gelebt habe?«
    »Ich werde gleichwohl für Ihr Seelenheil beten, Meister da Vinci.«
    »Ist das eine Drohung?«
    Zu Leonardos Überraschung huschte ein Lächeln über das Gesicht des Pfarrers. »Ich weiß nicht, warum, aber Sie scheinen mich unbedingt erzürnen zu wollen«, stellte er fest. »Doch ich muss Sie enttäuschen, ich werde nie zornig, sondern allenfalls traurig. Sie haben vorhin eingeräumt, dass Sie ein sündiges Leben gelebt haben, und das betrachte ich als Ihre Beichte.« Er faltete die Hände und schloss die Augen.
    Leonardo lauschte brütend den lateinischen Worten, die der Pfarrer nun murmelte. Das sagte ihm alles nichts, aber er enthielt sich eines Kommentars, teils aus Erschöpfung, teils wegen Mathurina, deren flehentliche Bitte ihm plötzlich wieder einfiel.
    Anschließend ging der Pfarrer zur Tür, um die anderen wieder hereinzulassen. Für Leonardo gerade noch hörbar sagte er zu ihnen: »Ich werde mit der Letzten Ölung noch warten. Lassen Sie mich bitte unverzüglich rufen, wenn es so weit ist.«
    Obwohl es nicht kühl war, zog sich Leonardo die Decke bis ans Kinn. Er schloss die Augen und wandte das Gesicht ab.
    Melzi und Mathurina verstanden das Signal und verließen still das Zimmer.
    Ich habe vergessen, ihn darauf hinzuweisen, dass die Engelsflügel immer viel zu klein dargestellt werden, dachte Leonardo noch. Damit können sie unmöglich fliegen. Aber wenn ihre Flügel die richtigen Maße hätten, müsste ihr Oberkörper so muskulös sein, dass es grotesk aussehen würde. Es sei denn, ihre Knochen wären so leicht wie die von Vögeln…
    Leonardo wurde mitten in der Nacht wach. Die Vorhänge vor den beiden Fenstern waren offen geblieben, weil er das so wollte. Er wollte die Sterne in all ihrer Herrlichkeit strahlen sehen.
    Er spürte, dass jemand im Zimmer war. Das war es auch, was ihn aus seinem ohnehin nur leichten Schlummer geweckt hatte. Als er mit einiger Anstrengung den Kopf ein wenig hob, konnte er im Licht der Sterne eine dunkle Gestalt sehen, die in dem Sessel am Fußende seines Bettes saß. Eine Frauengestalt.
    »Mathurina?«
    Er sah sie eine erschrockene Bewegung machen und sich erheben.
    »Ich war eingenickt«, sagte sie entschuldigend. »Ein anstrengender Tag…«
    Er hörte sie gähnen. »Was tust du dann hier?«
    »Irgendwer muss bei dir wachen, Meister. Das gehört sich so.«
    »Warum? Dachtest du etwa, du könntest den Tod aufhalten?«
    »Es ist nicht gut, allein zu sterben.«
    Darüber musste Leonardo kurz nachdenken. »Nein«, sagte er schließlich. »Das stimmt nicht. Wenn du im Beisein eines geliebten Menschen stirbst, ist es umso schmerzlicher, weil du weißt, dass du ihn oder sie zum allerletzten Mal siehst. Und stirbst du mit einem letzten Blick auf einen Feind, dann bedauerst du, dass du ihm nichts mehr anhaben kannst. Es ist also nie gut, in Gesellschaft zu sterben.«
    »Ach, Meister, du und deine eigensinnigen Ansichten…«
    »Logik kann verwirrend sein, so paradox das auch klingen mag.«
    »Schwierige Worte, Meister.«
    »Mathurina…«, Leonardo zögerte, »ich bin wirklich lieber allein. Wenn jemand in meinem Zimmer ist, kann ich nicht schlafen. Aber du darfst noch etwas für mich aufschreiben. Oder lass es Melzi tun.«
    »Ja?«
    »Ein Kleingeist kann nur kleine Gedanken haben…« Noch während er die Worte aussprach, bedachte er, dass Mathurina
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