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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald
Autoren: Paul Kaerney
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Karbolseife gewaschen, deren Geruch Michael sein Leben lang verfolgen würde und der Dreck von den Stiefeln geschrubbt. Das Haus und die Farm waren damals immer voll Leben: Menschen kamen und gingen, Stiefel polterten über die Diele, die Großmutter rief in den Hof zum Essen -oder schickte Michael im Laufschritt hinaus auf die Felder, wo die Männer verschwitzt ihrer Arbeit nachgingen — Sensen, Halfter, Eimer, Schaufeln, Säcke oder Mistgabeln in den Händen. Er erinnerte sich an solche Abende, in der Zeit des Heumachens, wenn kleine Mücken wie Wolken in der Luft tanzten, das Muhen einer Kuh weit durch die Stille klang, und er über Felder und Weiden stürmte, um alle zum Essen zu rufen. Seine Kleidung war dann mit Grassamen übersät, Schuhe und Hose mit flüssigem Kuhdung bespritzt. »Du hast Kuhscheiße auf der Nase«, wurde ihm dann ruhig mitgeteilt. »Was hast du damit gemacht, eine Schneeballschlacht? Mach dich auf die Socken und wasch dich, sonst wird dir deine Oma das Fell gerben.« Und er sah nicht mehr, wie sie hinter ihm grinsten, wenn er zurückeilte. An einem solchen Spätsommerabend lief Michael Fay mit Kuhscheiße auf der Nase zur Farm zurück, stolperte und stürzte, rutschte und schlitterte, und sein ganzes Leben wurde dabei am Kragen genommen, durchgeschüttelt und an einem anderen Ort wieder abgesetzt. In einer anderen Welt. Er konnte den würzigen Geruch der Erde riechen, als er mit wirbelnden Armen und Beinen den steilen Hang hinunterpurzelte. Er roch wilden Knoblauch und Uferschlamm, und als die Welt aufhörte, sich um ihn herum zu drehen, stellte er fest, daß er sich auf einer Böschung befand, die zum Fluß am Fuße der Grundwiese hinabführte, daß er die dicht mit Haselnußsträuchern bewachsene Uferböschung etwa sechs Meter weit heruntergesegelt war. Das Licht der Abendsonne hatte er oben auf der Weide zurückgelassen. Hier unten zwischen den Erlen und Weiden herrschte Zwielicht. Die Bäume standen bis dicht an das Wasser heran, wie Tiere an der Tränke, und zwischen den Stämmen wurde es rasch dunkler. Er setzte sich auf und klopfte sich unbeholfen Staub und Erde ab. Er spürte kleine Zweige in den Haaren und unter seinem Hemd. Seine Kleidung war mit Moos und Erde beschmiert. Er verzog das Gesicht, warf einen Blick auf seine grünschwarzen Hände und dann hinunter zum Fluß, wo sich die Dämmerung über das rauschende Wasser legte. An den langen Nachmittagen, wenn ihn seine Großmutter von den zahlreichen Pflichten befreit hatte, die sie ihm Tag für Tag aufbürdete, ging er hier oft auf Elritzenjagd. Er kannte diesen Fluß -denn für ihn war es ein Fluß, obwohl er kaum drei Meter breit war, und man hindurchwaten konnte. Wenn man ihm von hier aus ein paar hundert Meter flußaufwärts folgte, kam man zu der alten Brücke, wo eine kaum benutzte Straße den Fluß überquerte. Das schwere Mauerwerk der Brücke ragte aus dem Wasser wie die Wände einer Burg, und unter dem Brückenbogen gab es nichts als schwarze Finsternis und das Platschen der Wasserratten. Michael fröstelte, und dann erstarrte er wie ein schockiertes Kaninchen. Denn heute abend war irgend etwas nicht in Ordnung hier unten am Fluß, etwas Merkwürdiges ging vor. Die Bäume schienen dicker zu sein und enger beieinander zu stehen. Die Weiden wirkten älter, und ihre Äste ragten dichter über das plätschernde Wasser. Und auf dem Hang, den er gerade heruntergestürzt war, gab es keine Baumstümpfe mehr.

    Er drehte sich um. Tatsächlich. Sein Großvater hatte die Haselnußsträucher gelichtet, damit die Schafe Zugang zum Fluß hatten und dort trinken konnten. Rinder würden die steile Böschung nie herunter kommen, Schafe aber schon. Es gab dort efeubedeckte und moosbewachsene Stümpfe, über die man stolperte, wenn man sich nicht vorsah, aber kein einziger hatte Michaels Sturz gebremst, und auch jetzt konnte er keinen entdecken. Seltsam. Doch der Gedanke verging so schnell, wie er gekommen war. In der Welt der Erwachsenen würde es schon — wie immer — irgendeine Erklärung dafür geben. Hier aber spielte es keine Rolle. Für einen Augenblick blieb er sitzen, lauschte dem Fluß und lächelte. Unbemerkt stieg über ihm der Abendstern über die Bäume. Keinen Moment dachte er an das Abendessen oder irgendwelche Botengänge, solidem saß dort, als warte er auf etwas. Auf der anderen Seite des Flusses bewegte sich etwas zwischen den Bäumen. Er blieb unbeweglich sitzen, obwohl sein Herz heftig zu pochen begann. Zweige
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