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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Brigitte Endres
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Blutfontäne erlosch. Der Werwolf stieg hoch und jaulte auf, worauf sie ihn ein zweites Mal traf, diesmal an einem Vorderlauf. Den keuchenden Herrn Bozzi noch immer mit sich schleppend, suchte er schmerzgepeinigt, den Rückzug anzutreten. Das bemitleidenswerte Bild des scheinbar hilflosen Tiers machte Valentina für einen Moment handlungsunfähig. Diesen Moment nutzte der Werwolf.
    „Lass ihn nicht entkommen!“, brüllte Phil.
    Valentina schreckte hoch, als sich die Bestie mit der unbändigen Kraft der Ausweglosigkeit schüttelte und den erschöpften kleinen Hund in hohem Bogen über den Kampfplatz schleuderte. Mit einem unirdischen Laut hetzte der Werwolf, seine letzten Reserven mobilisierend, davon. Den Schaft des Dolchs fest umklammert, visierte Valentina den Davonjagenden an, der ungeachtet seiner Verletzungen schon in der Dunkelheit zu verschwinden drohte.
    Wie ein Silberpfeil durchschnitt die glänzende Klinge das Mondlicht. Ein infernalischer Laut platzte in die Nacht, dann herrschte Stille. Eine bange Stille, die keinen Jubel zuließ. Selbst die Bäume schienen das Rauschen eingestellt zu haben.
    Valentina stand da wie gelähmt. Hatte sie den Werwolf getroffen? Sie wendete den Kopf zu Phil, der neben dem weißen Wolf im Gras kniete und ihren Blick ernst erwiderte. Was war mit Dorian? Flammende Panik im Genick rannte sie zu ihm hin. Der weiße Wolf lag am Boden, Blut sickerte aus seinem Fell. Aufschluchzend warf sie sich über ihn. Das große Tier hatte die Augen geschlossen, aber es röchelte. Von dem, was vorging, schien es jedoch nichts mitzubekommen.
    „Er hat was abgekriegt, aber er atmet“, sagte sie heiser. „Oh Gott! Was machen wir jetzt?“ Die Befürchtungen, die sie schon die ganze Zeit mit sich getragen hatte, brachen sich mit Tränen Bahn. „Er, er darf … Dorian darf kein Wolf bleiben! Dann war doch alles umsonst. Der Fluch …“ Ihre Stimme brach.
    Phil sprang auf. „Lass mich nachsehen, ob das Mistvieh auch wirklich tot ist.“
    Valentina wischte sich, um Beherrschung kämpfend, über die Wangen. „Du gehst nicht allein zu dieser teuflischen Bestie!“ Sie zog ihre Jacke aus und deckte den verletzten Freund damit zu. „Es wird alles gut“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Es wird alles gut!“
    Während Herr Bozzi dem weißen Wolf nicht von der Seite wich, bewegten sich die Geschwister voll banger Gedanken auf das dunkle Bündel zu, das ein gutes Stück entfernt reglos auf der Wiese lag. Weit vor ihnen erleuchtete, eine warme Insel im kalten Mondlicht, goldener Feuerschein den Himmel.
    Phil blickte sehnsuchtsvoll zum Festhügel, auf dem sie soeben den Holzstoß entzündet haben mussten. Fetzen fröhlicher Musik wehten herüber. Wie nah doch ihr gewohntes Leben war und wie unerreichbar fern es ihm jetzt vorkam.
    Ein Schwarm Nachtfalter, der aus der Silberscheibe des Monds zu flattern schien, umschwirrte ihre Köpfe, als sie vor dem vermeintlichen Bündel stehen blieben. Es war ein schäbig gekleideter menschlicher Körper.
    „Der Alte!“, flüsterte Phil betroffen. „Er ist tot.“
    Valentinas Lippen bebten. Zitternd beugte sie sich über den bewegungslosen Leib. Der Liliendolch steckte wie eine Standarte in der Halsarterie des Toten.
    „Wolko hat sich also zurückverwandelt“, murmelte Phil. „Verdammt, warum dann Dorian nicht?“
    In diesem Augenblick ließ sie ein eigentümliches Rauschen hochblicken. Dann wurden sie Zeugen eines unglaublichen Vorgangs: Aus den Faltern wuchsen menschliche Silhouetten, die im Mondlicht über der Leiche schwebten. Die Gestalten von Kindern, Frauen und Männern in altertümlichen Kleidern. Ihren stummen Gesten war Erleichterung und Freude zu entnehmen. Einige von ihnen tanzten einen lautlosen, doch ausgelassenen Reigen. Valentina und Phil wichen erschrocken zurück, als vereinzelt Schatten herabtauchten, fraglos, um sich zu vergewissern, ob der am Boden Liegende tatsächlich tot war.
    „Die Falter …“, raunte Valentina und wollte eben ansetzen, Phil mitzuteilen, was Dorian ihr erzählt hatte, als sich ein hochgewachsener Geist aus der Menge löste. In einer dankenden Gebärde verneigte er sich vor den Geschwistern und kehrte dann zu den Seinen zurück. Obwohl sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, ahnte Valentina gleich, wer er sein musste.
    „Do… Dorians Vater“, flüsterte ihre flatternder Stimme.
    Phil nickte. „Die alte Frau – erinnerst du dich …?“
    Weiter kam er nicht, denn nun begann ein Spektakel, das dem
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