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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Brigitte Endres
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er über den kleinen Vorplatz, blieb dann, den Kopf in den Nacken gelegt, stehen und gab einen herzzerreißenden Laut von sich. Herr Bozzi, der ihm nachgetappt war, setzte zu ebenso schaurigem Geheul an. Das unheimliche Duett bereitete Valentina Gänsehaut. Ahnungsvoll kam sie ihren vierbeinigen Gefährten nach. Über dem Diana-Tempel war ein gewaltiger weißer Mond aufgegangen, dessen unscharfe Konturen mit dem eisenfarbenen Äther der Dämmerung verschmolzen. Jede Ader ihres Körpers pulsierte im rasenden Takt ihres Herzens. Es war so weit!
    Ein dunkles Knarzen riss ihre Aufmerksamkeit zum Tempel zurück. Langsam, wie von selbst, tat sich die Tür des Mausoleums auf und eine schattenhafte Gestalt trat aus der Schwärze in das Abendgrau. Zarter Lilienduft durchwebte die Luft. Valentina blieb bewegungslos stehen. Die schwarze Frau!
    Der weiße Wolf drehte den Kopf und wandelte wie im Traum auf die geisterhafte Erscheinung zu, während sich Herr Bozzi leise winselnd an Valentinas Beine schmiegte. Nun hob die dunkle Gestalt ihren schwarzen Schleier und nahm den weißen Wolf mit ausgestreckten Armen in Empfang. Valentina erkannte sogleich die Züge Amalias, auch wenn ihr Gesicht, anders als auf dem Gemälde, blutleer, ja, fast transparent wirkte.
    Stumm, in einer Gebärde höchster Bewegung, kniete die Geisterfrau nieder und umschlang den weißen Wolf. Valentina fühlte Tränen hochsteigen. Mutter und Sohn waren vereint.
    In diesem ergreifenden Augenblick veränderte sich Herrn Bozzis Winseln zu einem bösen Knurren. Alarmiert wirbelte Valentina herum, und die Klauen der Angst krallten sich in ihren Nacken.
    Ein gewaltiger Wolf gestaltete sich aus der grauen Gaze der Dämmerung. Ohne jede Eile kam er näher, mit der bedrohlichen Ruhe eines Kampferprobten, der sich seines Sieges gewiss ist. Obwohl er den linken Hinterlauf nachzog, lag in jedem seiner Schritte höchste Spannung, die Spannung eines Raubtiers, das jeden Augenblick zum Sprung ansetzte.
    Valentina stand da wie paralysiert. Der scharfe Geruch der Gefahr, der mit dem übel riechenden Atem des räudigen Tiers heranwehte, ließ sie schließlich aus ihrer Erstarrung aufschrecken. Sie beugte sich zu Herrn Bozzi, der seine zitternden Flanken an sie presste, und nahm ihn hoch, ehe er sich hinreißen ließ, auf den mächtigen Gegner loszujagen. Dann zog sie sich, ohne die glühenden Pupillen des Werwolfs aus den Augen zu lassen, rückwärts zum Tempel zurück.
    Die schwarz gekleidete Erscheinung und das weiße Wandeltier blickten dem Feind unbewegt entgegen.
    Als die Bestie schon auf wenige Meter herangekommen war, hauchte die Geisterfrau dem weißen Wolf einen Kuss auf die Stirn, als wolle sie ihn damit segnen. Dann setzte er sich in Bewegung. Ehe es die Stufen des Tempels hinab stieg, hielt das majestätische Tier noch einmal inne. Seine hellblauen Augen trafen die Valentinas mit einem Ausdruck, der ihr das Herz abschnürte. Unwillkürlich umfasste sie den Dolch. Ein Rausch von Kampfbereitschaft und Entschlossenheit überflutete sie. Sie war bereit!
    In ruhigen Bewegungen, die Gefasstheit und Mut ausdrückten, schritt der weiße Wolf seinem Widersacher entgegen. Dann standen sie sich im fahlen Licht des Mondes gegenüber. Die Augen des Werwolfs glühten, grollendes Knurren drang aus den Eingeweiden seines gewaltigen Leibs. Trotz der Verletzung, aus der auch jetzt stetig Blut sickerte, trotz des hohen Alters, von dem das grau-räudige Fell zeugte, das wie die Flechten eines uralten Baumes an ihm hing, strahlte alles an ihm wilde Angriffslust aus. Valentina durchschoss die quälende Erkenntnis, dass er dem Letzten seines Namens an Größe und wohl auch an Stärke überlegen war.
    Dennoch zeigte der weiße Wolf keinerlei Demutsgeste. Er begegnete seinem Feind mit aufgerichteter Rute und aggressiv entblößtem Gebiss. In einer Art bizarren Grinsens zog der Werwolf die Lefzen zurück und bleckte zwei Reihen gefährlicher gelber Zähne, die zu nichts anderem zu taugen schienen, als mit einem einzigen Biss eine Gurgel zu durchschlagen. Einen furchterregenden Augenblick lang sprühten sich die Rivalen flammenden Hass entgegen, dann griff der weiße Wolf an. Überrascht von der Attacke wich der Werwolf zurück, doch nur einen Atemzug später schlugen sich seine Hauer in den Vorderlauf des Gegners, der sich in rasendem Schmerz aufbäumte. Valentina schrie auf. Verzweifelt suchte sie den Blick der Geisterfrau, aber die war unversehens verschwunden.
    Panik schoss blutrot durch
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