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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Brigitte Endres
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drängte sich mehr und mehr Publikum über den Weg. Die Sonne stand noch hoch, als sie den Festhügel erreichten. Gaukler in historischen Kostümen führten Kunststücke vor. Stelzengänger staksten durch das Gewimmel zwischen den Buden. Ein Jongleur in einem mittelalterlichen Narrenkostüm warf eine unerfindliche Anzahl von Ringen in die Luft, um sie in verwirrender Finesse wieder aufzufangen.
    „Hast du Hunger?“ Phil wandte sich um, ihm war der Dunst eines Bratwurststands in die Nase geweht.
    Valentina schüttelte den Kopf. „Ich krieg keinen Bissen runter.“
    „Also ich brauch jetzt was zwischen die Zähne“, sagte Phil und reihte sich in die Warteschlange ein. Seine Schwester sah neidlos zu, als er mit einem Bratwurstbrötchen zurückkam, nicht so Herr Bozzi, der ganz auf Hundeblick setzte, was ihm ab und zu ein Stück einbrachte.
    Phil legte den Kopf in den Nacken. „Esch dauert nosch, bisch die Schonne untergeht.“
    Valentina stöhnte. „Und ich bin jetzt schon so kribblig, als hätte ich einen Ameisenhaufen verschluckt.“ Sie deutete zu einer kleinen Bühne, auf der ein Zauberer eben zur Vorstellung einlud. „Komm, dann vergeht die Zeit schneller.“
    Sie setzten sich in die letzte Bankreihe, wo ihre vierbeinigen Begleiter niemanden störten. Obwohl Valentina Richtung Podium starrte, hätte sie nicht sagen können, was dort vor sich ging, ihre rasenden Gedanken gaben ihre eigene Vorstellung. Auch Phil konnte sich nicht auf den Zauberer konzentrieren, unstet wanderte sein Blick umher, als er an einem bekannten Gesicht hängen blieb, das aber gleich wieder in der Menge verschwand. Der Mann aus dem Wohnmobil! Sie waren also da! Besorgt schielte er auf die Silberscheide des Liliendolchs, die unter dem Oberteil seiner Schwester hervorblitzte. Dann beugte er sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    Valentina sprang wie von der Tarantel gestochen auf. Verkrampft den Dolch umklammernd, spähte sie um sich. „Ob der kleine Satansbraten auch hier ist?“
    „Darauf kannst du Gift nehmen“, sagte Phil. „Besser wir verziehen uns.“
    Sie kehrten dem Festhügel den Rücken und steuerten den Naturteil des Parks an, wo sich die Leute allmählich verliefen. Valentina nahm dem weißen Wolf den Gürtel ab, und Phil ließ Herrn Bozzi von der Leine. Ohne dass sie es recht bemerkten, übernahm das große Tier die Führung und lenkte ihren Spaziergang vom Weg ab in Richtung des Diana-Tempels.
    „Hier hat alles angefangen“, sagte Phil, als das Mausoleum vor ihnen auftauchte. „Weißt du noch, wie uns Isolde die Geschichte von der schwarzen Frau mit dem weißen Hund erzählt hat?“
    Valentina lief es eiskalt über den Rücken. „Heute ist Johanni“, sagte sie rau.
    Phil nickte. „Obwohl ich jetzt weiß, dass die Geisterfrau Amalia von Treuenstein ist, möchte ich ihr nicht unbedingt begegnen.“
    Der weiße Wolf blieb für einen Moment stehen, wendete den majestätischen Kopf und warf Phil einen anklagenden Blick zu.
    „Sorry“, murmelte Phil.
    Sie hatten eben den Tempelhügel erklommen, als Valentinas Handy klingelte. „Isolde, was ist?“
    Phil sah seine Schwester erwartungsvoll an, als sie das Gespräch beendete.
    „Wir sollen Karl ausrichten, dass Isolde sich um eine Stunde verspätet. Ursula sitzt als heulendes Elend auf der Couch und zerknüllt Taschentücher.“
    „Du wartest hier“, sagte Phil. „Ich erledige das. Ich bin zurück, ehe es dunkel wird.“
    Valentina presste die Lippen zusammen. Die Aussicht, an diesem Schicksalstag allein an dem Ort zu verbleiben, der, wie sie ahnte, der Schauplatz der Entscheidung sein würde, bereitete ihr Unbehagen. „Okay, aber beeil dich!“
    Beklommen setzte sie sich auf die Stufen des Mausoleums. Der weiße Wolf ließ sich neben ihr nieder und wieder traf ihr Blick seine klaren Augen, die sie ihren Kleinmut bedauern ließen.
    Phil lief los, fast dankbar um den Auftrag. Die Warterei zehrte doch verdammt an den Nerven!
    Keuchend drängte er sich wenig später durch das Gewühl von Festbesuchern, die mit dem Abend noch zahlreicher geworden waren, zum Bierausschank vor, wo eine lange Schlange Durstiger anstand.
    Suchend sah er sich nach einem weißhaarigen bärtigen Kopf um, der alle überragte. Karl stand vor der Bratwurstbude, als Phil ihn endlich entdeckte. Er schaute auf die Uhr, als Phil ihn ansprach. „Wo sind die anderen?“
    „Isolde lässt sich entschuldigen …“ In kurzen Worten richtete Phil aus, was ihm seine Großmutter aufgetragen
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