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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Glen Duncan
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große Chance, dass das verdammte Ding losgehen und ich mir in den Fuß schießen würde.
    Es war nicht leicht, Jake zurückzulassen. Zweimal brach ich auf und kehrte zurück, ein letzter Blick, eine Berührung, ein Schnüffeln. Werwölfe, musste ich feststellen, weinen nicht. Nicht vergossene Tränen schnürten mir die Kehle zu. Die blanke Tatsache meines Alleinseins löste sich immer wieder in der Phantasievorstellung auf, er könne einfach aufwachen.
    Sei nicht so sentimental. Weiter geht’s. Du hast noch was zu erledigen.
    Jakes Geist, zumindest meine eigene fiktionalisierte Version davon. Jedenfalls brachte mich das wieder auf die Beine und zwang mich Schritt für Schritt hinaus in den Wald.
    Ich war nur ein paar Schritte weit gekommen, als ich Cloquet fand. Schon nach Jakes Beschreibung hätte es niemand anderer sein können, und natürlich war da der handgemachte Silberspeer mit seinem und Jaqueline Delons miteinander verschlungenen Namen in Henochisch darauf, der nun in Grainers Brust steckte. Er schien nicht sonderlich überrascht zu sein, einen Werwolf über sich zu sehen, auch nicht sonderlich ängstlich, das muss ich schon sagen. Er saß an eine Buche gelehnt, eine Zigarette in der einen und eine halbleere Flasche Wodka in der anderen Hand. Er war getroffen worden. Der unkontrollierte Feuerstoß aus der Automatik des Jägers, der Jake verfehlt hatte und durch die Bäume gefegt war, hatte ihm eine Kugel ins linke Bein verpasst.
    »
Bonsoir, Mademoiselle
«, sagte er. »Er hat meine Königin ermordet«, fuhr er fort. »Deshalb habe ich ihn umgebracht.
C’est tout
. Gott ist im Himmel, und in der Welt steht alles zum Besten. Sie können mich töten, wenn Sie wollen, aber lassen Sie mich nicht zu lange leiden.«
    Sie haben mir das Leben gerettet, wollte ich sagen, aber das konnte ich natürlich nicht. Der Drang, ihm helfen zu wollen, war merkwürdig schmerzhaft, vor allem um Jakes willen, irgendwie, weil ich wusste, dass die beiden eine merkwürdige Art von Kameradschaft gepflegt hatten – aber was konnte ich machen?
    Da war der gepanzerte Van, doch darin lagen Poulsoms zerfetzte Überreste, und außerdem konnte ich mir die ganze Szene nicht noch mal ansehen. Dann fiel mir wieder die rhetorische Frage des Motorradfahrers ein:
Welcher Idiot verfolgt einen schon in einem weißen Wagen?
Dieser Idiot offensichtlich. Ich konnte selbst kaum glauben, was ich da tat, doch ich deutete auf ihn und tat dann so, als hielte ich ein Lenkrad in der Hand. Ich wiederholte es.
Wo ist dein Wagen?
    Nicht verwunderlich, dass er einen Augenblick brauchte, um zu verstehen, was er da sah. Er lachte auf, ein hysterischer Anfall, der kurz aufflammte und wieder verging. Ich spürte Jakes Geist wie die Wärme der Sonne auf dem Rücken.
    »
Un kilometre
«, sagte Cloquet und zeigte hinter sich. Ich konnte sehen, dass er wieder Hoffnung schöpfte. Bis zu diesem Augenblick hatte er gedacht, sein Ende sei gekommen. Nun war wieder Leben. Ein Werwolf bot ihm Hilfe an. Ich streckte ihm meine Hand hin. Wieder lachte er, dann war er den Tränen nah und ergriff meine Hand.
     
    Damit wäre meine Aufgabe erledigt, Jakes Geschichte zu Ende zu erzählen. Ich wollte mich strikt an die Ereignisse halten, alle Gefühle außen vor lassen – doch das habe ich wohl nicht ganz geschafft, wenn ich diese paar Seiten so überfliege. Es ist erstaunlich schwer (liebe Maddy, wie Jake wohl gesagt hätte), sich an die Geschichte zu halten. Natürlich gibt es da noch eine andere Geschichte (unter anderem die, wie man eine 2  Meter 75 große Werwölfin in einen Landrover kriegt), aber die gehört nicht hierher. Dafür ist vielleicht später noch Zeit. Ich habe das Gefühl, mich hat das Schreibfieber gepackt, schon Jake zu Ehren, aber auch aus psychologischer Notwendigkeit. Mit mir selbst zu reden ist vielleicht kein Heilmittel gegen Einsamkeit, aber es hilft.
    Seit jener Nacht im Wald von Beddgelert ist ein Monat vergangen, ich habe überlebt, aber es war nicht leicht. Das hätte ich ohne Cloquet nicht geschafft – doch auch das ist eine andere Geschichte.
    Wenn alles nach Plan geht, fliege ich morgen nach New York.
    Doch bis dahin muss ich noch den Fluch über mich ergehen lassen. Heute ist Vollmond, und dem Hunger ist es völlig egal, was man durchgemacht hat, wovor man sich fürchtet oder wo man nächste Woche sein wird. Darin liegt ein gewisser Trost, die Klarheit der Forderung, seine Gleichgültigkeit gegenüber Vernunft oder Reue. Der Hunger lehrt einen
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