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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Glen Duncan
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Bäume, alles war von merkwürdig solider, statischer Lebhaftigkeit, als sei das alles absichtlich so arrangiert worden und müsste doch etwas bedeuten.
    Eine unbestimmt surreale Zeit verging. Es gab Fragen, doch die wirkten nur wie vage, weit entfernte Objekte. Was würde mit Jake geschehen, wenn der Mond unterging? Würde sein Leichnam unverändert bleiben? Würde er zu menschlicher Form zurückkehren? Da waren noch drei weitere Leichen, um die ich mich kümmern musste. Was sollte mit denen geschehen? Wo war Cloquet? Wenn ich wirklich schwanger war, was würde geschehen, wenn ich die Wehen während der Verwandlung kriegte? Wie würde das Kind aussehen?
    Ja, da waren all diese Fragen, doch da war noch der Hunger, so als würde mein eigener Klang bis zu einer Lautstärke aufgedreht, die Schmerzen verursachte.
    Das hellwache Bewusstsein setzte wieder ein, so wie man plötzlich wieder gut hört, wenn einem das Wasser im Ohr abläuft. Ein Windstoß bewegte die jungen Blätter. Der Bach gab seinen Geruch von nassen Steinen ab. Meine Fingerspitzen kribbelten. Ich wurde mir erneut meines veränderten Körpers und der sanften Passform der kalten Luft bewusst, die mir über Schnauze, Ohren und Kehle huschte.
    Dann kletterte ich hinten in den Van.
    Poulsom war ein Häufchen Elend. Ich riss ihm das Isolierband vom Mund und ihm dabei aus Versehen ein Stück Oberlippe ab. Nach einer Schrecksekunde traf ihn der Schmerz der Wunde, und er schrie. Ich legte ihm die rechte Hand mit dem noch stark blutenden Handgelenk langsam um die Kehle und drückte ganz sanft zu. Gerade genug, um ihn zum Verstummen zu bringen. Ich sah nach unten und deutete auf meinen Bauch.
    Ich konnte sehen, wie er einen Augenblick lang herauszufinden versuchte, ob ihm eine Lüge oder die Wahrheit von Vorteil sein würde. Erstaunlich, wie dieser Mensch noch immer beharrlich kalkulierte. Dann sah ich, wie er wohl wegen einiger Überbleibsel der Vorstellung, dass sich die Wahrheit letztlich auszahlt, entschied, sein Schicksal ganz auf die Wahrheit zu setzen. Er nickte und krächzte: »Ja. Schwanger.«
    Nicht nichts, Engel. Das Kind. Du wirst leben. Versprochen?
    Nun, das hatte ich.

61 .
    Es war stockfinster, als ich mit Poulsom fertig war. Ich hatte schnell gefressen, doch mein Appetit war mit allen möglichen Gefühlen durchsetzt gewesen: Kummer, Zorn, Verlust, Verwirrung. Dazu eine Art tumber, respektloser Hoffnung. Ich sah mich selbst mit einem Kind an der Hand vor dem Eisbärgehege im Central Park Zoo stehen. Meine eigenen frühesten Erinnerungen, die Chance, sie jemandem weiterzugeben.
    Wegen der Leichen konnte ich gar nichts unternehmen, noch nicht mal mit der des armen Jake. Wenn ich leben wollte, dann musste ich sofort damit anfangen. Ich war ein Ungeheuer, allein mitten in Wales. Selbst wenn ich mich wieder zurückverwandelte, hatte ich kein Geld, keinen Ausweis, keine Kleidung, keinen sicheren Fluchtort. Ich dachte an meinen Dad und die Restaurants, an die vielseitige Alison und meine Wohnung und wie schön es wäre, wohlbehalten dort zu sein und mit einer Tasse Kaffee und einer dummen Illustrierten auf dem Sofa zu liegen. Wie unwahrscheinlich es wohl sein würde, sie wiederzusehen, ja überhaupt die nächsten vierundzwanzig Stunden zu überstehen.
    Aber du musst. Es gibt keinen Gott, und das ist sein einziges Gebot. Mit größter Mühe (probieren Sie das mal mit Werwolfshänden) machte ich mich daran, mir eine Ausrüstung zusammenzusuchen. Poulsom hatte die kleinsten Füße, also nahm ich seine Schuhe. Grainers Kampfhose und Gürtel, Ellis’ Lederjacke. Beide zusammen hatten etwas über 150  Pfund in bar bei sich. Jakes Kleidung lag in Fetzen, aber das Tagebuch steckte blutverschmiert und verknickt in der Innentasche seines ruinierten Mantels. Ich nahm es an mich. Ich fand eine Leinentasche mit den wichtigsten Autoutensilien – Starterkabel, Lenkradsperre, Wagenheber, Taschenlampe – hinter dem Vordersitz des Vans, leerte sie aus und stopfte meine neue Garderobe hinein. Ich stellte mir vor, wie ich Jake davon erzählen würde, wenn das erst mal alles vorüber war. Mein Handgelenk heilte bereits.
    Ich nahm Grainers Pistole und drei Magazine aus seinem Gürtel. Nicht dass ich eine Ahnung davon gehabt hätte, wie ich sie benutzen sollte. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich die Sicherung gefunden hatte. Ich war auf etwas gestoßen, das wie eine Sicherung aussah, und hatte es in die andere Richtung geschoben, aber ehrlich gesagt, gab es immer noch die
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