Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Glen Duncan
Vom Netzwerk:
sie hatten sicher Infrarot-Nachtsichtgeräte. Ekel überfiel mich. Der Jäger schob die Hand in die Tasche und holte eine Rolle Isolierband hervor. »Sie können mir versprechen, leise zu sein – still, um genau zu sein –, oder ich kann Ihnen das hier über den Mund kleben. Das liegt ganz bei Ihnen. Sie haben die Wahl nur ein einziges Mal.« Der Raum zwischen uns schwirrte nur so vor unterschwelligen Andeutungen. Der Jäger musste sich vor einer höheren Autorität verantworten. Er war in seinen Taten eingeschränkt. Wozu immer er auch in der Lage war,
jetzt
war er es nicht. Und dann war da noch unzweifelhaft die Angst – der leicht curryhafte Geruch, den er von sich gab. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, Angst vor einer Frau zu haben. Damit konnte er nicht umgehen. Immer wieder musste er sich sagen, dass dies hier keine Frau war, sondern ein Ungeheuer.
    »Ich werde still sein«, sagte ich und sah ins Feuer.
    Die Nacht war schlimm. Die Wachen wechselten sich ständig ab, zwei draußen, einer drin. Natürlich konnte ich nicht schlafen, Fieberschübe und der Hunger, der sich abwechselnd in verschiedene Teile meines Inneren krallte. In der weißen Zelle hatte mir Poulsom Muskelrelaxantien ›erlaubt‹, die ich nur aus tiefster Abneigung nahm. Nun hätte ich dankbar eine Handvoll davon geschluckt. Ich rollte mich unter der Decke auf der Couch zusammen, zitterte trotz des Kaminfeuers. Und wenn ich nicht zitterte, brach mir der Schweiß aus. Jake meint, Schultern und Handgelenke kommen zuerst, doch bei mir ist es die Linie vom Hinterkopf bis zu den Lendenwirbeln. In den Delirien (Deliriums? Jake hätte das gewusst) kommt der gelbzähnige Wolf aus dem
Rotkäppchen
-Buch, das ich als Kind hatte, zu mir, mit Jacke und allem – er gleitet aus der Wand, dem Feuer oder dem Teppich oder einfach aus der Luft, kommt auf mich zu, legt seinen größeren, gewichtslosen Körper um mich, will einfach hinein.
    Der Motorradfahrer machte Instantkaffee, den ich trank, weil das besser war als nichts. Die Kleidung tat mir auf der Haut weh. In der Küche gab es eine Pendeluhr, die
tock … tock … tock
machte; das leise Geräusch war fast unerträglich. Immer wieder tauchte im Fieber Jake auf. Manchmal war er der Rotkäppchen-Wolf, oder der Wolf sprach mit seiner Stimme.
Du wirst mich bald sehen. Ich habe dich den ganzen Tag bei mir gespürt. Ich dich auch
. Manchmal war er nur er selbst, lag unsichtbar neben mir auf der Couch, Quelle – wie in Wärmequelle oder Lichtquelle – der Zweisamkeit. So wie er mir manchmal die Hand auf den unteren Rücken gelegt hat. Es war, als befände sich mein Bewusstsein dort im Kreuzbein, nicht in meinem Kopf. Zumindest jener Rest von Bewusstsein, das voller Schrecken daran dachte, wieder aus dem Fieber zu erwachen und allein zu sein.
    Irgendwann in der tiefsten Nacht wurde Poulsom hereingebracht, damit er ins Bad gehen konnte. Er bekam Wasser, dann brachten sie ihn zurück in den Van. Er muss da draußen ziemlich gefroren haben.
    Bei Sonnenaufgang kamen der Jäger und der Securicor-Mensch herein; sie wirkten wund. Der Motorradfahrer machte ihnen fröhlich ein Frühstück aus dem, was der Kühlschrank hergab: Eier, Schinken, Brot, Käse, Dosenfisch. Der Gestank des Gebratenen nahm mir den Atem. Ich saß im Bad, ließ den Ventilator laufen und wedelte mir mit einer Flasche Rohrreiniger unter der Nase. An ein Fenster, durch das ich hätte klettern können, war nicht zu denken, außerdem war ich noch immer gefesselt.
    Mein Wachmann war sichtlich erleichtert, es ohne Zwischenfall durch die Nacht geschafft zu haben. Der Jäger zog die Vorhänge im Wohnzimmer auf. Draußen lag ein Vormittag unter tiefen Wolken und fahlem Licht. Die Eindrücke von letzter Nacht bestätigten sich. Die Landschaft war leer, nur ab und zu von niedrigen Steinmauern durchzogen. Ostwärts wogten die Felder leicht davon auf eine ferne Hügelkette zu. Westlich lag etwa hundert Meter entfernt ein Wald.
    Ich hatte angenommen, der anbrechende Tag würde irgendwelche Veränderungen mit sich bringen, doch abgesehen von der Haltung der Männer, das Schlimmste überstanden zu haben, änderte sich nichts. Ich sah, wie der Jäger fünfzehn Meter weit hinausging und telefonierte. Der Securicor-Mensch trug die kalten Frühstücksreste zum Van.
    Um vier Uhr nachmittags rauchten der Motorradfahrer und ich die letzte von seinen Marlboros. Ich fragte mich langsam, ob das Unmögliche möglich sein konnte und sie tatsächlich nicht wussten, dass ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher