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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Glen Duncan
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Knien, der Speer hielt ihn aufrecht, die Arme hingen leblos herab, die Augen waren halb geschlossen. Dunkles Blut quoll ihm aus dem offenen Mund. Das Bild wirkte so entrückt klar wie eine Ikone. Dann kam Jake herunter, fiel mit einem Hauch der vom Mond durchschienenen Abendluft auf Morgan und riss ihn in einer Geste voller emphatischer maskuliner Anmut von Kehle bis Bauch auf. Der leblose Körper fiel wie eine nutzlose Puppe in sich zusammen.
    Jake schlang die Hände um die Gitterstangen und wollte schon mit aller Macht ziehen, doch ich sandte ihm durch die Verwirrung seiner Gedanken hindurch (sein Kopf war voller anschwellender Freude aus
schwanger, kann nicht sein Speer Liebe von Liebe Cloquet kann nicht sein aber bitte bitte lass sie
) ein Bild von Morgans Handfläche, spürte, wie das Bild in all dem Getümmel in ihm aufstieg, spürte seine eigene animalische Freude. Er ging zur Leiche des Jägers, riss ihm den Arm ab, legte die Hand auf die Schaltfläche und erhielt dafür wie durch Zauberei das Piepen, Seufzen, die offene Tür.
    Wir fielen uns in die Arme. Die Sprache hatte uns verlassen, aber die brauchten wir auch nicht, nicht jetzt, wo der Wolf uns und unsere Körper vermischte, nicht mit dem magischen Geisterflackern (bildete ich mir das nur ein?) des neuen Lebens in mir. Einen Augenblick lang hielten wir uns, und alles fiel von uns ab, alles bis auf die vollkommene Gewissheit unserer gemeinsamen Natur, unseres Blutes, unserer Gleichartigkeit. Einen Augenblick lang war die Welt makellos.
    Wenn ich nur nicht die Augen geschlossen hätte.
    Jake hat ja schon alles über
Wenn
und
Dann
geschrieben.
    Ich hatte jedenfalls die Augen geschlossen vor Freude, seine warmen Arme um mich zu spüren, sein Herz an meines klopfen zu hören, und sah nicht, spürte nur den Schlag, das Zucken des Einschlags und hörte erst eine scheinbar lange Zeit später den Schuss.

60 .
    Ich schlug die Augen auf, hielt Jake noch immer in den Armen. Über seine Schulter hinweg sah ich Grainer, der kaum bei Bewusstsein war und verzweifelt versuchte, die Waffe für einen zweiten Schuss hochzuhalten. Langsam hob ich Jake an und drehte mich mit dem Rücken zu seinem Mörder. Erschieß mich auch, dachte ich, wo mir doch nichts mehr geblieben ist.
    Nicht nichts, Engel. Das Kind.
    Ich sah ihn an, spürte, wie das Silber mit unverhandelbarer Gier sein Leben fraß. Der Tod holte ihn, und es war, als würde etwas aus mir herausgerissen. Aus meinem Leib. Die Handschelle, die mir ins linke Handgelenk schnitt, zerbrach endlich. Blut floss über uns beide.
    Du lebst
, schickte er mir.
Es gibt keinen Gott, und das ist sein einziges Gebot
.
    In Ordnung.
    Versprochen?
    Versprochen. Verlass mich nicht.
    Jake schloss die Augen. Die Verführung setzte ihm schwer zu, ein liebevoller Sog in seinem Blut. Sein Herz ging mit, das spürte ich, wie ein Boot, das sich losgerissen hatte. Er schlug die Augen auf, fasste mit ungeheurer Willensanstrengung alle Reste zusammen und sah mich an.
    Es wird weh tun.
    Er packte mich mit schockierend großer Kraft – dann fuhr er mir mit einer Klaue ins Fleisch über der Brust.
    Trotz allem durchfuhr mich der Reflex, mich loszureißen – der Schmerz war klein, präzise, glühend heiß –, doch er nahm alle Kraft beisammen, die er noch hatte, um mich festzuhalten, und im nächsten Augenblick war alles vorüber. Er holte einen Knoten aus Blut und Gewebe hervor, aus dem ein winziges Stück Metall ragte.
    Jetzt können Sie dich nicht mehr aufspüren.
    Ich war kurz verwirrt, doch dann verstand ich. In all dem Durcheinander meiner Gedanken tauchte ein klarer, kleiner Blitz an Abscheu auf, dass sie in der Lage gewesen waren, in mich einzudringen. Sie hatten uns zum Narren gehalten.
    Liebste …
    Bleib bei mir. Bleib bei mir.
    Jake schloss die Augen. Der Vollmond erschien über den dunklen Baumwipfeln. Die Wolken hatten sich verzogen. Der Himmel war dämmerungsblau.
    Es fiel kein zweiter Schuss.
     
    Schwer zu sagen, wie lange ich mich in diesem blutigen kleinen Schlachtfeld aufhielt, während Jakes Leichnam neben mir erkaltete. Der Mond stand jedenfalls schon weit über den Bäumen, als ich mich erhob und Jake sanft auf den Boden legte. In einer Art sanftem Traum wiederholte meine eigene Stimme in meinem Kopf, ohne dabei irgendetwas zu empfinden: Er ist fort. Er ist fort, er ist fort … Nichts rührte sich im Wald. Selbst der Bach schien verstummt zu sein. Die Luft war wie nackt, so klar. Der gepanzerte Van, die Leichen, die
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