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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang
Autoren: Annette Meyers
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sie dir nicht? Rita hat sie mir geschenkt.«
    »Oh.« Sie verdrehte die Augen und reichte ihm
ein Stück Brot mit Ziegenkäse. »Sie ist toll.«
    Er lachte. »Lügnerin. Sie ist nicht von Rita. Die
Kollegen haben sie mir geschenkt. Komm jetzt, nimm deinen Mantel und laß uns
gehen.«
    »Wohin?«
    »Warum stellst du immer so viele Fragen?«
    »Ich bin neugierig.«
    Sie spazierten die Columbus Avenue hinunter.
    »Lauf nicht so schnell«, sagte Silvestri.
    »Mir ist kalt.«
    Hinter dem Museum für Naturgeschichte sang eine
Gruppe von Weihnachtssängern »Macht hoch die Tür« und »Guter König Wenzeslaus«,
und wer auf der Straße vorbeiging, blieb stehen, um mitzusingen. Silvestri und
Wetzon blieben bis »Kommet ihr Hirten«. Dann winkte Silvestri einem Taxi.
    »Wohin gehen wir?« fragte sie noch einmal, als
sie im Taxi saßen.
    »Lord and Taylor«, sagte er zum Fahrer, der eine
rote Nikolausmütze mit einem schlaffen Zipfel, der in einer weißen Bommel
endete, auf dem Kopf trug. »Das ist Achtunddreißigste und Fifth, und lassen Sie
sich Zeit.«
    »Lord and Taylor? Es ist sieben Uhr, Silvestri.
Lord and Taylor ist seit mindestens einer Stunde geschlossen.«
    »Ich weiß.« Das war alles, was er sagte.
    Die Fifth Avenue lag taghell im Lichterglanz. Sie
kamen an einer Pferdekutsche voller Kinder vorbei, Touristen wahrscheinlich.
Vor Tiffany’s kletterte ein Nikolaus in einen Rolls-Royce, der mit Geschenken
vollgepackt war, und preschte los.
    Ein roter Doppeldeckerbus fuhr an ihrer rechten
Seite vorbei, dann erschienen die Löwen vor der New York Public Library. Die
Löwen trugen Kränze um ihre steinernen Hälse.
    »Komm«, sagte Silvestri, nachdem er den Fahrer
bezahlt hatte. »Fröhliche Weihnachten.«
    Sie standen vor dem Geschäft, und sie monierte:
»Ich habe dir ja gesagt, daß es geschlossen hat.« Selbst am Heiligen Abend,
ganz besonders am Heiligen Abend, standen die Leute dichtgedrängt, um die
dekorierten Fenster zu betrachten.
    »Ich möchte die Schaufenster sehen«, sagte er,
ohne von ihrer Gereiztheit Notiz zu nehmen.
    »Ich bin hungrig.«
    »Alles zu seiner Zeit.«
    Die Schaufenster feierten Norman Rockwell und
eine amerikanische Weihnacht. Als sie alle betrachtet hatten, seufzte sie
leicht entnervt: »Okay, das war sehr hübsch. Können wir jetzt essen?«
    Er spazierte mit ihr die Fifth Avenue hinauf.
»Fröhliche Weihnachten« sagten die Leute im Vorbeigehen. Ein roter Cadillac mit
Lamettagirlanden fuhr vorbei. Auf dem Dach wackelten ein Schlitten und ein
Rentier. Über den Scheinwerfer war ein Kerzenleuchter angebracht.
Weihnachtliche Musik ergoß sich auf die Straße, und alle Welt lächelte und
strahlte.
    »Fröhliche Weihnachten!« rief jemand von einem
Heuwagen, und plötzlich war die Luft voll fliegender Zuckerstangen in
Cellophan. Silvestri ergatterte eine und gab sie ihr.
    »Wie fühlst du dich jetzt?«
    »Super«, sagte sie. »Aber halb tot vor Hunger.«
    Die Saks-Schaufenster kannte sie schon, und
Silvestri war von ihnen nicht beeindruckt, aber gegenüber pulsierte das
Rockefeller Center im Rhythmus von Musik und Licht: der hoch aufragende Baum
auf der Plaza, die riesigen roten Ornamente in den Seitenstraßen und die
kreisenden Schlittschuhläufer wirkten prachtvoll. Die Nacht schien zu klingen.
    St. Patrick’s war erleuchtet, und die Türen
standen offen. Später würde sich diese Kathedrale und all die andern überall in
der Stadt zur Mitternachtsmesse füllen.
    Sie schaute den Schlittschuhläufern zu, während
die Musik sie umfloß. »Oh, kommet, ihr Gläubigen.« Den Kopf hebend, blickte sie
zu Silvestri auf. Sie hatte so vieles, wofür sie dankbar sein mußte.
Gesundheit, Erfolg, Freunde. Ein schönes Zuhause in der wunderbarsten Stadt der
Welt. Liebe. Sie drückte Silvestris Hand und begann zu weinen.
    »Aber, aber«, sagte er. »So hungrig? Deswegen
brauchst du nicht zu weinen. Ich füttere dich.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du würdest es nicht
verstehen.«
    »Versuch es doch«, sagte er, aber schon gingen
sie wieder weiter.
    »Wohin gehen wir?«
    »Du wirst schon sehen.«
    An der 54. Straße wandten sie sich nach Osten,
überquerten die Madison und näherten sich dem Elysée Hotel.
    »Die Monkey Bar«, sagte sie. »Die Monkey Bar!«
Plötzlich war sie begeistert. Dies war das neue In-Lokal, das vor ein paar
Monaten erst wiedereröffnet hatte. Sie blieb stehen und schaute ihn scharf an.
Es sah Silvestri überhaupt nicht ähnlich, auch nur davon gehört zu haben.
Vielleicht hatte
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