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Der letzte Vampir

Der letzte Vampir

Titel: Der letzte Vampir
Autoren: David Wellington
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Dutzende, vielleicht sogar hundert. Ein paar standen in der Ecke, und hier hatte man sie sogar aufeinandergestapelt. Die meisten standen aber immer noch da, wo sie gestanden hatten, als das Sanatorium geschlossen wurde, in ordentlichen Reihen, die irgendwo in der undurchdringlichen Finsternis verschwanden.
    Wie viele Menschen, wie viele Generationen waren in diesem Saal gestorben? Wie viele Männer hatten in diesen Betten gelegen und sich zu Tode gehustet, bis jemand kam, um den Leichnam wegzukarren? Wie viele Geister hatten sie zurückgelassen? Ihr Vater war auf die gleiche Weise gestorben, ein Husten nach dem anderen. Gestorben in einem Bett …
    Jemand tippte ihr federleicht und sanft auf die Schulter.
    Furcht schoss ihn ihr hoch, kein Gefühl, sondern ein lebendes, atmendes Wesen, das über ihre Schulter und ihren Nacken kroch wie auf der Suche nach einem Versteck. Caxton wollte davonrennen. Sie wollte schreien. Sie wollte sich umdrehen und stellte fest, dass ihr Körper vor Angst wie gelähmt war.
    Sie verharrte mitten in der Bewegung und schaltete das Licht aus. Es kostete sie Konzentration, wieder zu atmen.
    » Laura. « Der Wind in den Bäumen vielleicht, durch den Äste aneinander rieben. Ja, sicher. Bäume. Beim ersten Mal hätte sie das vielleicht geglaubt. Aber inzwischen wusste sie es besser. Es war ein Vampir, und der Vampir spielte mit ihr wie eine Katze mit einem verletzten Sperling. Sie bekam eine Gänsehaut.
    Es konnte Malvern sein. Das Blutbad hatte ihr möglicherweise genug Kraft verliehen, um sie von der anderen Seite des Sanatoriums aus zu rufen. Oder es war der andere Vampir, der unbekannte.
    Ein kalter Windhauch fuhr über Caxtons Gesicht, zerzauste ihr Haar. Es hatte zuvor keinen Wind gegeben. Entweder hatte jemand eine Tür geöffnet oder … oder …
    Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie musste es wissen. Sie schaltete die Taschenlampe gerade noch rechtzeitig ein, um zu sehen, wie eine weiße Hand von ihr wegzuckte. Sie verspritzte rote Tropfen. Caxton keuchte entsetzt auf und wirbelte herum, wollte sehen, wo der Besitzer dieser Hand war, aber sie konnte nichts entdecken. Sie schaltete die Lampe wieder aus und senkte die Waffe. Drei.
    Eine Sekunde verging. Dann noch eine. Nichts geschah.
    Caxton wollte die MiniMaglite wieder einschalten. Sie sagte sich, dass sie sich nur selbst behinderte, wenn sie auf Licht verzichtete. Vampire konnten lebende Menschen in der Dunkelheit sehen. Sie konnten ihr Blut sehen. Sie stellte sich vor, wie der Vampir sie in diesem Augenblick beobachtete. Würde er ihr ängstliches Gesicht sehen oder nur das Blut, das in ihren Adern pulsierte? Sie stellte sich vor, wie das aussehen musste: das verzweigte Netzwerk ihrer Blutgefäße, als hätte man es sorgfältig chirurgisch entfernt und mit Drähten an der Decke aufgehängt. Ein menschlicher Umriss, aber leer, ein zuckendes Geflecht, hellrote, faserige Linien, die in der kalten Luft bebten.
    Der Vampir musste in unmittelbarer Nähe sein. Jeden Augenblick würde er oder sie sich auf sie werfen und in Stücke reißen. Warum die Verzögerung? Dort zu stehen und auf ihr Ende zu warten, sich den kommenden Schmerz vorzustellen, war beinahe schlimmer, als tatsächlich zu sterben.
    Sie schaltete die Taschenlampe ein und streckte sie aus, forderte den Vampir auf, sich zu zeigen. Der Vampir gehorchte, trat direkt in den Lichtstrahl hinein.
    Zehn Meter entfernt, vielleicht auch ein Stück weiter, enthüllte das Licht kaum mehr als einen bleichen menschlichen Umriss. Der Vampir trug ein weißes Spitzenkleid, das Caxton seltsam vertraut vorkam, als hätte sie es in einer Zeitschrift gesehen. Die farblosen Hände waren voller Blut.
    Caxton kannte diese Erscheinung. Aus dem Wagen, als sie vor Angst ohnmächtig geworden war. Sie hatte diesen Vampir mit den blutigen Händen gesehen, wie er sie lockte, sie zu sich lockte. Jetzt hoben sich die Hände, die Handflächen ausgestreckt, als wollten sie Caxtons Licht einfangen. Das Rot rieselte durch die Finger. Es war gar kein Blut, wie Caxton erkannte. Es waren Haare, Büschel kurzgeschnittener, roter Haare.
    »Sie sind alle auf einmal ausgegangen, Schatz«, sagte die Vampirin und kam näher. Sie bewegte sich so mühelos, als würde sie Rollerskates tragen. »Ich dachte, du würdest sie vielleicht noch einmal sehen wollen, bevor sie weg sind.«
    Caxton erstarrte. Sie fühlte sich, als würde sie sich wie ein Fossil in Stein verwandeln. Der Laut, der krächzend in ihr aufstieg, war
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