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Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)

Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)

Titel: Felicity Gallant und das steinerne Herz (German Edition)
Autoren: Melanie Welsh
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Erstes Kapitel
    M ir scheint«, sagte Henry Twogood, »dass jemand, der seine Schleuder auf dem Küchentisch vergisst, kaum ein besonders inniges Verhältnis zu dem Ding haben kann.«
    Felicity saß am anderen Ende des Boots. Die heiße Sonne schien ihr ins Gesicht. Vor ihren halb geschlossenen Augen flimmerte das Licht in allen Farben des Regenbogens.
    Henry lag im Bug, den Kopf auf dem zusammengefalteten Vorsegel. »Und wenn sie kaputtgegangen ist, dann doch wohl deshalb, weil sie schlampig gemacht war, oder nicht?«
    Felicity grinste.
    Er nahm einen Bissen von seinem belegten Brot und runzelte kritisch die Stirn. »Der Käse ist ganz labbrig.«
    »Na ja, kein Wunder: Die Brote haben den ganzen Tag in der Sonne gelegen«, gab sie zu bedenken.
    Henry überlegte eine Weile, dann aß er weiter.
    Felicity schaute hinauf in den Himmel. Endlos weit spannte er sich übers Meer, nichts als leuchtendes Blau. Das schöne Wetter dauerte nun schon etliche Wochen. Jeden Morgen hatte sie in aller Eile ihr Frühstück hinuntergeschlungen und war fortgerannt zum Strand, um mit Henry segeln zu gehen. Das Boot gehörte seinem Vater und hieß
Ehrliche Armut
.
    Eine sanfte Brise strich über ihre Stirn. Die Luft schmeckte nach Salz und Freiheit.
    »Nicht zu fassen, dass morgen schon wieder die Schule anfängt«, sagte sie.
    Henry nickte. »Ja, ich weiß nicht, wo die Zeit geblieben ist.«
    Felicity dachte zurück an das Ferienende vor einem Jahr, als sie, ein einsames kleines Mädchen, in der Bibliothek von Wellow auf einen großen, dunkelhäutigen Mann getroffen war, der auf dem Boden saß und weinte. Sie konnte es selbst kaum glauben, wie dramatisch sich ihr Leben in den zwölf Monaten seitdem verändert hatte.
    Damals war das großartige Schmugglerschiff
Sturmwolke
nach Wellow gekommen und mit ihm die schreckliche Frau, die sich als Felicitys Großmutter vorgestellt hatte, und schon bald danach hatte Felicity erfahren, dass ihr Großvater Rafe Gallant früher der führende Kopf der
Gentry
, einer in aller Welt berühmten Schmugglerbande, gewesen war.
    Sie fragte sich damals, wie ihre Eltern es geschafft hatten, ihre Familiengeschichte vor ihr geheim zu halten. Aber nach allem, was Henry ihr erzählte, war kein Zweifel möglich: Sie musste erkennen, dass sie bis dahin in einer Traumwelt gelebt hatte.
    Der Hitze zum Trotz schauderte Felicity: Ihre eigene Großmutter – oder besser gesagt die frühere Frau ihres Großvaters – war »Die
Herrin
«, eine der vier Hüterinnen der Elemente. Eine grausame Hexe, die über grenzenlose Macht verfügte.
    Sie blickte zur Küste. Die Kreidefelsen waren so weiß, dass es ihr in den Augen wehtat.
    »Warst du schon mal in den Höhlen da?«, fragte sie.
    Henry kramte in seinem Rucksack nach der letzten Orange. »Hier gibt’s keine Höhlen«, sagte er, ohne aufzuschauen.
    »So? Und was ist das?« Felicity zeigte auf eine große Öffnung am Fuß der Klippe.
    »Komisch«, sagte Henry. »Die muss neu sein.«
    Felicity lächelte.
    »Wenn ich’s dir doch sage: Die Höhle war vor zwei Wochen noch nicht da. Ich war mit Bertie hier fischen. Da gab es sie noch nicht.«
    »Komm, schauen wir sie uns aus der Nähe an.« Felicity war ganz aufgeregt.
    »Tolle Idee«, sagte Henry ironisch. »Du willst in eine Höhle gehen, die innerhalb von wenigen Tagen in einer Klippe entstanden ist. Na, da kann ja gar nichts schiefgehen, oder? Denk doch mal nach: Höhlen tauchen nicht
einfach so
auf.«
    »Diese schon, so wie es aussieht«, sagte Felicity.
    »Ich meine: Wenn die Höhle irgendwie in so kurzer Zeit entstanden ist, kann sie doch genauso schnell wieder einstürzen. Das ist
gefährlich

    »Ich schaue ja bloß, was soll da schon passieren?« Felicity steuerte auf die Klippen zu. Das Boot machte gute Fahrt direkt vor dem Wind.
    »Ich warte hier«, sagte Henry, als sie sich dem Strand näherten.
    »Wie du willst.« Felicity warf den Anker, dann zog sie ihre geliebten alten Deckschuhe aus und stieg über die Bordwand ins seichte Wasser.
    Henry fluchte leise, dann stieg auch er aus. »Du weißt genau, dass ich dich nicht allein da reingehen lassen kann«, murmelte er vorwurfsvoll.
    Felicity lächelte. Sie wusste, dass die Gentry solche Höhlen als Verstecke benutzt hatte, war aber noch nie in einer gewesen. Sie betrachtete den Eingang, blickte hinauf zu der steil aufragenden Klippe. Es war Ebbe, der weiße Sand war noch feucht.
    Henry trat vor und sah sich im Inneren der Höhle um. Nachdenklich rieb er mit dem
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