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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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gedacht. Man hätte sie füttern müssen, längst schon. Schweiß im Gesicht mischte sich mit Tränen, Haare klebten auf der Haut. Sie packte die Heugabel und stach in den Heuballen, als könne der dafür, als trage der Schuld, als empfange der verdient die Strafe – wofür? Wofür? Wieder und wieder stach sie zu, hackte in das Heu, riss es heraus, fegte es wild durch die Gegend. Der Heuballen nahm die Strafe seufzend auf sich, und die Schafe blökten, dass sie Recht hatte. Reeecht-Reeecht ... Weinend stürzte sie sich in den losgerissenen Heuberg, raffte ihn an sich und stolperte blind vorwärts, verlor unterwegs die Hälfte, trat gegen Schafbeine – ach, es war doch egal, die meisten von ihnen landeten ja doch beim Schlachter...
    »Da, fresst, ihr Viecher...«, heulte sie, warf das Futter auf den Futterplatz und stapfte zurück, gegen den Wind gestemmt, der sich alle Mühe gab, ihr möglichst harte Schneekörner ins Gesicht zu schlagen – »Ich hasse dich!«, schrie sie ihm entgegen und stürzte sich in der Scheune erneut auf das Heu, weil es guttat, zuzuschlagen, Gewalt zu tun, und sei es nur an einem verfluchten Heuballen …
    »Lies. Lies, hör...«
    Jói war gekommen. Mit einem langen Schritt war er bei ihr, holte ihr die Heugabel aus der Hand, und als sie sich wehren wollte, nahm er sie in die Arme, und diesmal tat er es weniger rücksichtsvoll. Sie wehrte sich für einen Moment, dann sank sie zusammen und ließ ihren Tränen, die so vieles beweinten – nicht nur Elías’ Tod, richtig freien Lauf, und es tat so gut, sie ausgerechnet an dieser Schulter loszuwerden...
    Der Heuballen seufzte, als irgendwann, viele Minuten später, Last auf ihn fiel, und er machte sich bereit für das, was im Heu normalerweise passiert, wenn Gefühle zweier Menschen überhand nehmen – doch er wurde enttäuscht. Lies heulte immer noch. Der Grund war ein bisschen anders geworden, chaotischer, unklarer. Er hatte immer noch mit Elías zu tun – aber auch mit Jói und mit ihrem Herzen und mit ihrem Bauch, wo Flammen hochschlugen… Durch Tränen und Trauer hindurch zwang sie sich, ihre Hände im Zaum zu halten, schließlich lag Elías da drinnen, tot, eben erst gestorben – gleichzeitig hörte sie Jói dicht neben sich heftig atmen, und das sicher nicht, weil er im Heu so wenig Luft bekam. Das mit der Luft und dem Heu im Gesicht und in der Nase und den Tränen dazwischen war dann auch egal – unglaublich egal …
    Jói richtete sich auf. Mit der Linken wischte er sich durchs Gesicht, wo ebenfalls Tränen ihre Spuren hinterlassen hatten. Jói hatte vielleicht mehr verloren als sie, und die Trauer in seinem Blick rührte sie zutiefst. Für einen Moment hielten sie stumme Zwiesprache – er verstand, was sie wusste. Sie sah, wie er verstand, so vieles verstand. Ihr Herz machte einen Satz – aber war es ein guter? Die Lippen brannten, alles brannte, wo er sie eben geküsst – endlich geküsst, berührt, angefasst hatte …
    »Lies. Ich muss dir was sagen.« Seine Stimme klang brüchig, und er strich über ihre Wange. Etwas in ihr erstarb. Was hatte er zu sagen? Eine Freundin? Ehefrau, drei kleine Kinder? Oder war er schwul? Ein Mönch? Mein Gott, was ging ihr hier bloß für ein Schwachsinn durch den Kopf, sie war völlig durcheinander. Elías – Jói – die Schafe draußen – der Wind, der um den Stall heulte …
    Heute ist heute , jaulte der Wind. Jóis Augen schimmerten, und er suchte nach Worten. Was zum Teufel gab es zu reden... Sie entschuldigte sich bei Elías, der drinnen tot auf seinem Bett lag, und angelte mit beiden Armen nach dem zurückhaltenden Tierarzt, weil sie es ohne ihn nicht aushielt, zumal der Wind sie entdeckt und mutwillig die Richtung gedreht hatte.
    »Nicht reden...«
    »Doch, Lies.« Er hielt ihre suchende Hand fest. Seine Augen waren so dunkel wie Samtknöpfe, und gerührt blickte er auf sie herab. »Lies... ich... Du musst was wissen.«
    »Ja?« Herrjee, was konnte wohl jetzt so wichtig sein... Mit beiden Händen umfasste er ihr Gesicht. »Lies – Elías hat dir seinen Hof vermacht.«
     
    Auch Lies Odenthal bekam Atembeklemmungen, vom Heu oder von der Nachricht oder von Jói... Nein. Was hatte er gesagt?? Ihre Arme sanken herab, schlaff lag sie im Heu und starrte ihn an.
    »Woher weißt du das?«, flüsterte sie nach einer Weile. Er hatte sich nicht bewegt. Lag dicht neben ihr und sah sie an, die Hände an ihrem Gesicht. »Woher weißt du das?«, wiederholte sie kaum hörbar.
    Zögernd bewegte
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