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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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einem Fluss geformt worden war. Es sah aus wie ein riesiges Hufeisen und beherbergte eine außergewöhnliche Fauna zwischen seinen Wänden. Sie hatte Fotos von dem Tal in der Zeitung gesehen und trotz der schönen Bilder Angst vor der Macht des Wassers bekommen. Die Jökulsá war sicher auch nicht so harmlos, wie sie aussah. Konnte sie über die Ufer treten? So weit?? Ach, Unsinn. Wer weiß, wo das Geräusch herkam. Sie verdrängte Angst und Unruhe und schloss das Fenster wieder. Ansonsten war es draußen nämlich friedlich – für hiesige Verhältnisse. Der Wind legte sich, pulveriger Schnee wehte tanzend am Fenster vorbei, und am Horizont zeigte sich die Sonne, die das spätsommerliche Schneetreiben hoffentlich beenden würde, denn Anfang September war eben doch erst Herbst und kein Winter.
    Eine Tür quietschte, die Klospülung ging. Wieder quietschte die Tür. Der Spitz in der Diele winselte. Dann gab es nur noch Geschirrklappern und das Rauschen des Kaltwasserhahns.
     
    »Gibt’s hier was zu essen? Was denn – nichts zu essen?«
    Lies schrak hoch. War sie doch tatsächlich auf der Bank eingeschlafen! Mit steifem Kreuz räkelte sie sich hoch und blickte in die lachenden Augen des Kaufmanns. Sein vom Wind gerötetes Gesicht wirkte wie eine frische Brise in dieser Küche, wo es immer noch nach Abwasch und kaltem, fettigem Essen roch. Der Ofen war ausgegangen. Sie stand auf, um Öl nachzufüllen. Die Anzündepfanne hatte sich abgekühlt, trotzdem verbrannte sie sich beim Anzünden die Finger an der Ofentür. Leise fluchend drückte sie die Tür ausnahmsweise mit dem Fuß zu. Die Ölkanne tropfte, und prompt stank es wieder nach Öl. Sie hasste diesen Geruch. Es war der Geruch der Ungeschicklichkeit, und er hielt sich tagelang.
    In der Diele raschelten Jacken, Gummihosen und Schuhe, jemand rief etwas von Pferden und Heu und dass der Stall nur zugemacht werden müsse. Einer zog die Nase hoch, Tilli lachte unanständig. Lies rieb sich den verbrannten Finger. Das Lachen ging in Wiehern über, wie man es von Tilli kannte, dann war die Küche voller Leben.
    »Ahhh, diesmal hättest du was lernen können, Mädchen«, grinste Ari und ließ sich auf die Bank fallen. »Diesmal war es ein richtiges Schaftreiben, so richtig wie man es kennt, diese Burschen waren so schlau...«
    »War’n all’s Klugschafe«, bestätigte Tilli. Beiläufig spuckte er seinen Tabak ins Spülbecken und rotzte gleich noch mal hinterher, ohne nachzuspülen. Lies sah einfach weg. Irgendwer würde heute schon noch den Wasserhahn betätigen. Sie goss frischen Kaffee auf und konzentrierte sich auf das Tröpfeln unter dem Filter. Der verbrannte Finger war knallrot geworden. Eine Blase bildete sich. Ihr wollte nicht einfallen, was man gegen Verbrennungen unternahm.
    »Klugschafe wiss’n, wo sie hinlauf’n.« Tilli fiel neben Ari auf die Bank, die ärgerlich unter seinem Gewicht knarzte.
    »Klugschafe sind die braunen«, erklärte Ari grinsend. »Wir nennen sie so, weil Elías mal gesagt hat, die seien schlauer als die weißen Schafe. Wir haben noch nie ein Klugschaf im Hochland verloren. Die finden immer nach Hause – aber die lassen sich auch bitten.« Er strich sich das Haar aus der Stirn, und deutlich sah man die Spuren, die die Mütze auf der Haut hinterlassen hatte. In seinem Bart hingen Eisklumpen. »War ein weiter Weg diesmal, an dem See vorbei in Richtung Norden, dann noch mal den Berg hoch – ich kann dir sagen...«
    »Weiter Weg«, bestätigte Tilli mit weit aufgerissenen, abwesenden Augen, als wäre er geistig noch dort oben unterwegs.
    »Warum lassen die sich bitten?«, fragte Lies, die sich nicht traute, nach Jói zu fragen und wo er bitteschön blieb. Draußen war nichts zu hören. Sie hatten ihn doch wieder mitgebracht??
    »Hm – die sind halt schlau. Die wissen, dass es für ein paar Monate in den Winterstall geht. Vielleicht waren sie auch noch ein bisschen mit dem Bock zugange. Hehehe.« Er lachte albern und nahm den dampfenden Kaffee entgegen. Lies hatte derweil Pfannkuchen gebacken und die Kartoffeln und das Fleisch in kleinen Stücken angebraten. Tillis Magen knurrte laut vor Hunger, er fing schon mal an mit einem Riesenlöffel Ahornsirup, der ihm seitlich an den Mundwinkeln heruntertropfte. Lies fragte sich, wo Jói steckte, warum er nicht kam …
    »Jói v’sorgt d’ Pferde«, brachte Ari zwischen zwei breiten Bissen hervor. »Die sag’n heut au’ nich mehr viel...«
    »Ah«, sagte Lies. Ari brachte so was wie ein
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