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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote
Autoren: Michael Connelly
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dazu, daß der Mörder mit den Details des Mordes etwas ausdrücken wollte. Wenn er nur die Leiche loswerden wollte, hätte er sie irgendwo in dem Gäßchen liegen lassen können. Er wählte jedoch den Abfallcontainer. Unbewußt oder nicht, er drückte damit seine Meinung über sie aus. Also mußte er sie irgendwie kennen. Von ihr gehört haben. Gewußt haben, daß sie Prostituierte war, genug, um sie zu verurteilen.«
    Bosch mußte wieder an Irving denken, erwähnte es aber nicht.
    »Könnte es nicht sein«, sagte er statt dessen, »daß er damit etwas über Frauen im allgemeinen ausdrücken wollte? Könnte es irgendein perverses Arschloch – ’ntschuldigung –, ein Verrückter gewesen sein, der alle Frauen haßt und sie für Dreck hält? In dem Fall müßte er sie nicht einmal gekannt haben. Vielleicht wollte er nur eine Prostituierte umbringen – irgendeine.«
    »Ja, das ist möglich. Aber wie Sie stütze ich mich gern auf die Statistik. Diese Art perverses Arschloch – die Bezeichnung im Psychojargon dafür ist Soziopath –, von der Sie sprechen, ist viel seltener als jemand, der sich bestimmte Opfer, bestimmte Frauen aussucht.« Bosch schüttelte den Kopf und schaute aus dem Fenster. »Was ist?«
    »Es ist frustrierend, das ist alles. Nach der Mordakte zu urteilen haben sich die Ermittler Bekannte, Nachbarn und so weiter nicht näher angesehen. Heute ist das nicht mehr möglich. Es sieht ziemlich hoffnungslos aus.«
    Er dachte an Meredith Roman. Er könnte zu ihr gehen und sie über die Bekannten und Kunden seiner Mutter befragen. Aber er wußte nicht, ob er ein Recht hätte, alte Erinnerungen zu wecken.
    »Sie dürfen nicht vergessen«, sagte Hinojos, »1961 schienen möglicherweise die Aussichten auf Erfolg gering. Wahrscheinlich wußten sie nicht einmal, wo sie anfangen sollten. Solche Fälle gab es damals noch nicht so oft.«
    »Solche Fälle sind auch heute kaum aufzuklären.«
    Sie schwiegen ein paar Augenblicke. Bosch erwägte die Möglichkeit, daß der Mörder jemand war, der sich seine Opfer spontan auswählte und dann weiterzog. Ein Serienmörder, der in der Dunkelheit der Vergangenheit verschwunden war. Wenn das der Fall war, bedeutete es das Ende seiner Privatuntersuchung. Ein glatter Mißerfolg.
    »Ist Ihnen noch etwas zu den Fotos eingefallen?«
    »Das war alles, was … Nein, einen Moment! Da war noch was. Vielleicht haben Sie es auch schon bemerkt.«
    Sie nahm den Umschlag, öffnete ihn, griff hinein und zog ein Foto heraus.
    »Ich will es nicht ansehen«, sagte Bosch schnell.
    »Es ist kein Foto von ihr, sondern von ihrer Kleidung ausgebreitet auf einem Tisch. Können Sie das anschauen?«
    Sie machte eine Pause und ließ das Foto noch halb im Umschlag stecken. Bosch machte eine Handbewegung, daß sie es ihm zeigen könne.
    »Ich habe die Kleider schon gesehen.«
    »Dann haben Sie die Sache wahrscheinlich schon in Betracht gezogen.«
    Sie schob das Foto zu ihm hinüber, und Bosch beugte sich vor, um es zu betrachten. Ein Farbfoto, das mit der Zeit vergilbt war – sogar im Umschlag. Die gleichen Kleidungsstücke, die in der Schachtel gewesen waren, waren auf einem Tisch so ausgebreitet, wie sie getragen worden waren. Oder wie eine Frau sie auf dem Bett ausbreiten würde, bevor sie sie anzog. Bosch mußte an Ausschneidebögen denken. Sogar der Gürtel mit der Muschelschnalle war da. Jedoch lag er zwischen der Bluse und dem schwarzen Rock – nicht um den imaginären Hals.
    »Nun«, sagte sie, »was ich eigenartig fand, war der Gürtel.«
    »Die Mordwaffe.«
    »Ja. Er hat diese große silberne Muschel als Schnalle, mit kleineren Muscheln als Verzierungen. Er ist ziemlich auffällig.«
    »Richtig.«
    »Aber die Knöpfe an der Bluse sind golden. Außerdem zeigen die Fotos der Leiche, daß sie goldene Ohrringe trug und eine goldene Halskette. Und ein Armband.«
    »Ja, das weiß ich. Das lag alles in der Schachtel.«
    Bosch verstand nicht, worauf sie hinauswollte.
    »Harry, es ist kein allgemeines Naturgesetz, deshalb zögere ich, es zu erwähnen. Aber man – das heißt Frauen – trägt normalerweise nicht Gold und Silber. Und es scheint, daß Ihre Mutter an jenem Abend elegant angezogen war. Daß sie Schmuck trug, der zu ihren Blusenknöpfen paßte. Sie hatte Stil und wählte ihre Garderobe bewußt aus. Ich glaube nicht, daß sie diesen Gürtel mit den anderen Sachen getragen hätte. Er war silbern und nicht gerade dezent.«
    Bosch sagte nichts. In seinem Bewußtsein war ein Gedanke
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