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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote
Autoren: Michael Connelly
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noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Draußen auf der Veranda sah er, daß der Himmel schon in den Pastelltönen der Dämmerung schimmerte. Bald würde es dunkel sein, aber der Freeway unten war wie ein Fluß glitzernder Lichter, dessen Strömung keinen Moment nachließ.
    Er sah auf den abendlichen Pendlerverkehr hinab, und es kam ihm wie ein Ameisenhaufen vor, auf dem sich die Arbeiter in Kolonnen bewegten. Irgend jemand oder irgendeine Macht würde bald abermals daherkommen und in den Hügel treten. Dann würden die Freeways und die Häuser einstürzen. Und die Ameisen würden wieder alles aufbauen und hintereinander hermarschieren.
    Irgend etwas störte ihn, er war sich jedoch nicht sicher, was es war. Alles mögliche ging ihm durch den Kopf. Er begann, Edgars Geschichte vor dem Hintergrund seines Gesprächs mit Hinojos zu betrachten. Irgendwo gab es eine Verbindung, eine Brücke, er konnte sie jedoch nicht entdecken.
    Er trank sein Bier aus und entschied, daß zwei genug seien. Dann setzte er sich auf einen der Liegestühle und legte die Beine hoch. Er wollte Körper und Geist ausruhen. Die Wolken am Himmel wurden jetzt von der untergehenden Sonne orange gefärbt. Sie glühten wie flüssige Lava, die sich langsam über den Himmel wälzte.
    Kurz bevor er einnickte, tauchte ein Gedanke aus der Lavaflut auf. Jeder zählt, oder niemand zählt. Und dann, mit dem letzten klaren Gedanken vor dem Schlaf, wurde ihm klar, was der rote Faden war, der sich durch seine Überlegungen gezogen hatte. Und er wußte, was seine Mission war.

3
    O hne geduscht zu haben, zog sich Bosch am Morgen an. Er wollte sofort mit der Arbeit am Haus beginnen und die Gedanken von gestern durch Schweiß und Konzentration vertreiben.
    Es war jedoch nicht so einfach. Als er seine farbbefleckten Jeans anzog, erblickte er sich im zersprungenen Spiegel über der Kommode und sah, daß er sein weißes T-Shirt verkehrt herum anhatte. Auf seiner Brust stand das Motto des Morddezernats.
    UNSER TAG BEGINNT, WENN IHR TAG ENDET. Es sollte auf dem Rücken stehen. Er zog das Hemd aus, drehte es um und zog es wieder an. Jetzt sah er im Spiegel, was er sehen sollte. Die Abbildung einer Polizeidienstmarke auf der linken Brust und darunter kleingedruckt: LAPD MORD.
    Er setzte eine Kanne Kaffee auf, nahm sich einen Becher und ging auf die Veranda. Dann schleppte er seinen Werkzeugkasten nach draußen sowie die neue Schlafzimmertür, die er im Baumarkt gekauft hatte. Als er endlich bereit war und den Becher mit dampfendem schwarzen Kaffee gefüllt hatte, setzte er sich auf das Fußteil des Liegestuhls und stellte die Tür auf einer Kante vor sich hin.
    Die ursprüngliche Tür war während des Erdbebens an den Angeln zersplittert. Vor ein paar Tagen hatte er versucht, die neue Tür einzuhängen, aber sie war für den Türpfosten zu breit gewesen. Er schätzte, er mußte ungefähr drei Millimeter von der Schloßseite abschleifen, damit sie paßte. Mit dem Hobel machte er sich an die Arbeit, schob das Werkzeug langsam auf der Kante hin und her. Die Holzspäne fielen in papierdünnen Locken auf den Boden. Manchmal hielt er inne, strich mit der Hand über die bearbeitete Fläche und überprüfte seine Arbeit. Es gefiel ihm, daß er den Fortschritt sehen konnte. Es gab wenige Aufgaben in seinem Leben, bei denen das möglich war.
    Trotzdem konnte er seine Konzentration nicht lange aufrechterhalten. Immer wieder wurde sie von dem störenden Gedanken unterbrochen, der ihn gestern abend verfolgt hatte. Jeder zählt, oder niemand zählt. Er hatte es zu Hinojos gesagt. Es sei sein Kredo, hatte er behauptet. Glaubte er wirklich daran? Was bedeutete es für ihn? War es bloß ein Motto wie der Spruch auf seinem T-Shirt, oder lebte er danach? Diese Fragen vermischten sich mit der Erinnerung an sein Gespräch mit Edgar und mit einem tief verborgenen Gedanken, von dem er wußte, daß er schon immer dagewesen war.
    Er nahm den Hobel von der Türkante und fuhr mit der Hand wieder über das glatte Holz. Es würde jetzt wahrscheinlich passen. Er trug die Tür hinein. Über einer Abdeckplane im Wohnzimmer schmirgelte er die Türkante mit einem Stück feinem Sandpapier ab, bis sie perfekt glatt war.
    Die Tür senkrecht auf einem Holzklotz balancierend ließ er sie in die Angeln gleiten und setzte dann die Stifte ein. Mit dem Hammer klopfte er sie mühelos ganz hinein. Er hatte die Angeln und Stifte vorher geölt, und die Tür öffnete und schloß sich fast lautlos. Noch wichtiger war, daß
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