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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis
Autoren: Scott Turow
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besuchte, in die Highschool ging, hier studierte und über fünfunddreißig Jahre als Jurist tätig war, habe ich keinen besten Freund, vor allem seit Dan Lipranzer, der Detective, mit dem ich als Staatsanwalt am liebsten zusammenarbeitete, aufgrund seiner rheumatoiden Arthritis nach Arizona gegangen ist. Das soll nicht heißen, dass ich mich nie amüsieren oder die Gesellschaft netter Kollegen wie George Mason genießen kann. Aber ich habe niemanden, dem ich mich wirklich tief verbunden fühle. Ich denke, dass Anna das von mir wusste und es sich zunutze machte. Aber irgendwie habe ich meine größten Hoffnungen immer an meinem Sohn festgemacht. Was keine faire Aufgabe für ein Kind ist. Jedenfalls hatte ich infolgedessen schon immer besonders große Angst davor, von Nat abgelehnt zu werden. Jetzt muss ich all meinen Mut zusammennehmen.
    »An dem Tag, als du mit Anna zum Abendessen kamst, hatte ich im Garten gearbeitet.«
    »Den Rhododendron gepflanzt.«
    »Genau, den Rhododendron für deine Mutter eingepflanzt. Und ich hatte fürchterliche Rückenschmerzen. Vor dem Abendessen gab sie mir dann vier Advil.«
    »Daran erinnere ich mich.«
    »Aber ich hab sie nicht genommen. Ich war von der Situation abgelenkt - du mit Anna zusammen. Ich hab sie einfach vergessen. Als ihr dann wieder weg wart und ich mich fertig machte, um ins Bett zu gehen, brachte deine Mutter mir die Tabletten nach oben. Sie legte sie auf den Nachttisch. Sie sagte, ich sollte sie nehmen, sonst würde ich morgen gar nicht mehr aus dem Bett kommen, und sie ging ins Bad, um mir ein Glas Wasser zu holen. Und ich weiß nicht, Nat. Die Phenelzintabletten - die sehen genauso aus wie die Advil. Dieselbe Größe, dieselbe Farbe. Irgendwer hat das im Prozess sogar mal ausdrücklich erwähnt. Aber bei aller Ähnlichkeit war doch irgendwo ein Unterschied, winzig klein, aber sie waren anders. Ich hab die Tabletten nie nebeneinandergelegt, um genau festzustellen, was mir da komisch vorkam, aber ich nahm sie in die Hand und starrte lange darauf, und als ich wieder aufsah, stand deine Mutter mit dem Glas Wasser vor mir, und, ehrlich, Nat, das war ein heftiger Moment.«
    »Weil?«
    »Weil sie ganz kurz, ein paar Sekunden lang, richtig glücklich war. Vergnügt. Triumphierend. Sie war glücklich, dass ich es wusste.«
    »Dass du was wusstest?«, fragt er.
    Ich starre meinen Sohn an. Etwas zu wissen kann die schwierigste Aufgabe sein, der Menschen sich stellen müssen. »Dass sie versucht hat, dich zu töten?«, fragt er schließlich.
    »Ja.«
    »Mom wollte dich töten?«
    »Sie war in der Bank gewesen. Sie hatte meine E-Mails durchgesehen. Sie wusste, was sie wusste. Und sie war mörderisch wütend.«
    »Und sie hatte beschlossen, dich zu töten?«
    »Ja.«
    »Meine Mutter war eine Mörderin?«
    »Nenn es, wie du willst.«
    Jetzt, wo er es gehört hat, fällt es ihm schwer, etwas zu sagen. Ich kann sehen, wie ihm die Fingerspitzen vom Pulsschlag zucken. Es ist ein schlimmer Moment für uns beide.
    »O Gott«, sagt mein Sohn. »Du sagst mir da gerade, dass meine Mutter eine Mörderin war.« Er schnaubt, und dann sagt er mit seiner katzenschnellen Logik: »Na ja, ein Elternteil muss es ja wohl sein, richtig?«
    Nach einem Moment verstehe ich: Entweder ich lüge, weil ich sie ermordet habe, oder das ist die Wahrheit.
    »Richtig«, sage ich.
    Er nimmt sich noch einen Moment Zeit für sich, starrt den Kühlschrank an. Da hängen immer noch die Weihnachtsfotos von vor über anderthalb Jahren. Die neugeborenen Babys, die glücklichen Familien.
    »Sie wusste, wer die Frau war?«
    »Wie gesagt, sie hatte meine E-Mails durchgesehen.«
    »Ich werde dich nicht bitten, es mir zu sagen -«
    »Gut. Weil ich das nämlich nicht tun werde.«
    »Aber es muss sie wirklich stinksauer gemacht haben.«
    »Ich bin sicher, sie war außer sich. Und nicht bloß ihretwegen. Sie wollte auch andere Leute schonen.«
    »Dann war es die Tochter von irgendwem. Von einem deiner Freunde? Es muss jemand gewesen sein, der ihr nahestand.«
    »Schluss jetzt, Nat. Ich darf die Privatsphäre eines anderen Menschen nicht verletzen.«
    »War es Denise? Das war immer mein Verdacht. Dass du was mit Denise angefangen hast.«
    Denise ist die Tochter von Barbaras jüngstem Onkel, ein paar Jahre älter als Nat. Eine hinreißende junge Frau, die ein ziemlich bewegtes Leben geführt hat und derzeit ihrem zweijährigen Kind zuliebe in einer problematischen Ehe mit einem Polizisten bleibt.
    »Lass gut sein, Nat. Ich hab
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