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Der letzte Beweis

Der letzte Beweis

Titel: Der letzte Beweis
Autoren: Scott Turow
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heute für mich darin erschöpft, dass er unvermeidlich Einfluss auf seinen Sohn hat. Nat ist mein Leben. Jetzt, wo Rusty fort ist, spüre ich die absolute Unumstößlichkeit dieser Tatsache.
    Wir sind beide still, erfüllt von unseren eigenen Gedanken. Es war eine ereignisreiche Nacht.
    »Ich muss dir was sagen«, bricht es aus mir heraus, als wir die Nearing Bridge überqueren. Am Horizont keimt ein zartrosa Licht auf, doch die Hochhäuser der Stadt sind noch erleuchtet und spiegeln sich prächtig im Wasser.
    »Was denn?«, fragt er.
    »Es wird dir nicht gefallen, aber ich möchte, dass du es jetzt erfährst. Okay?«
    Als ich zu ihm hinüberschaue, nickt er, aber seine dichten Augenbrauen haben sich nachdenklich zusammengezogen.
    »Als ich nach meiner Scheidung zu Dede gezogen bin, hab ich bei Masterston Buff gearbeitet, Anzeigentexte geschrieben und abends Seminare an der Uni besucht. Ich hatte ein Hauptseminar in Makroökonomie. In der Einführungsveranstaltung hatte ich eine Eins geschrieben und ich dachte mir, wenn ich gut in Mathe bin, schaffe ich das Hauptseminar mit links. Der Professor war Garth Morse. Erinnerst du dich an den Namen? Er war einer von Clintons Wirtschaftsberatern und ist immer noch oft im Fernsehen, weil er ziemlich wortgewandt ist und gut aussieht, und ich dachte, es wäre richtig toll, bei so jemandem zu studieren. Aber das Niveau war viel zu hoch für mich, mit diesen ganzen komplizierten Gleichungen und so, bei denen die erfahrenen Studenten sofort durchblickten. Ich war sowieso nicht gut drauf, weil ich mich von Paul getrennt hatte, und es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, und in der Zwischenklausur schrieb ich eine glatte Fünf. Also bin ich zu Morse in die Sprechstunde gegangen. Ich war noch keine zehn Minuten bei ihm im Zimmer, da sieht er mich ganz, ganz lange an, als hätte er zu viele alte Filme gesehen, und sagt: >Das können wir so schnell nicht klären, wir sollten uns beim Abendessen darüber unterhalten.< Zugegeben, ich war nicht völlig überrascht. Er hatte den entsprechenden Ruf. Er hielt sich für einen echten Frauenschwarm. Und Dede meinte: >Bist du verrückt? Mach das! Oder willst du ewig studieren?< Er sah wirklich gut aus, und er war ein ziemlich faszinierender, interessanter Typ, echt charismatisch. Aber trotzdem. Seine Frau war schwanger. Ich weiß nicht mehr, woher ich das wusste - vielleicht hatte er das mal im Seminar erwähnt -, aber gerade das gab mir zu denken. Andererseits hatte Dede nicht unrecht, ich musste endlich Examen machen und weiterkommen, und in der Zeit damals, so kurz nachdem meine Ehe in die Brüche gegangen war, hätte ich es nicht ertragen, wenn ich schon wieder gescheitert wäre. Also —«
    Nat tritt so scharf auf die Bremse, dass ich mich festhalten und an den Airbag denken muss, sofern ich überhaupt denken kann. Ich spähe durch die Windschutzscheibe, um zu erkennen, was wir angefahren haben. Wir stehen am Straßenrand, kurz hinter dem Ende der Brücke.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, frage ich.
    Er hat seinen Sicherheitsgurt gelöst, damit er sich ganz nah zu mir hinüberbeugen kann.
    »Warum erzählst du mir das?«, fragt er. »Warum jetzt? Heute Nacht?«
    Ich zucke die Achseln. »Vielleicht, weil ich übernächtigt bin.«
    »Liebst du mich?«, fragt er mich dann.
    »Natürlich. Natürlich. Wie ich noch nie jemanden geliebt habe.« Das meine ich absolut ehrlich. Er weiß es. Ich weiß, dass er es weiß.
    »Denkst du, dass ich dich liebe?«
    »Ja.«
    »Ich liebe dich«, sagt er. »Ich liebe dich. Ich will nichts von den schlimmsten Dingen wissen, die du je getan hast. Ich weiß, dass du auf dem Weg zu mir schwere Zeiten durchgemacht hast. Und ich habe auf dem Weg zu dir schwere Zeiten durchgemacht. Aber wir sind zusammen. Und zusammen sind wir bessere Menschen, als wir je zuvor waren. Das glaube ich wirklich. Und das genügt.« Er beugt sich vor und küsst mich sanft, sieht mich noch einmal kurz an und blickt dann in den Rückspiegel, ehe er den Wagen wieder auf die Straße lenkt.
    Mit zwanzig begegnest du deinen Liebhabern frisch und unverbraucht. Du hoffst immer noch, den Traumprinzen zu finden, und jeder, mit dem du davor zusammen warst, war bloß eine bedeutungslose Etappe auf dem Weg dahin. Aber mit sechsunddreißig - sechsunddreißig! - ist das nicht mehr so. Du warst auf dem Gipfel, hast an die ewige Liebe eines anderen geglaubt, hattest, wie du meintest, den tollsten Sex deines Lebens - und bist doch irgendwie weitergezogen,
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