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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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ist mit ihrer strafenden Moral nicht weniger kindisch als die vorhergehende, aber sie unterhält ihn bis weit südlich von Lyon.
    Dann denkt er sich aus, was er mit seinem neuen Leben anfinge. Sollte er Anne als Geist erscheinen ?
    Oder den unsichtbaren Mäzen spielen ? Ihr alle Bilder abkaufen ? Durch einen Strohmann natürlich. Erpressen wäre auch nicht schlecht. Er brauchte nur zu warten, bis sie zuviel von dem Geld verbraucht hätte. Dann wieder auftauchen und den Rest von ihr verlangen. Und monatliche Zahlungen von, sagen wir mal, tausend Mark.
    Natürlich konnten sie das Geld auch teilen, aber diese Variante barg keinen Schaden für Anne. »Tot zu sein bedarf es wenig«, singt er, sich durch den Stoßverkehr zum Zentrum von Valence vortastend, »und wer tot ist, ist ein König.«

27.
     
    Es regnet schon den dritten Tag. Eigentlich ein Wetter für die Sixtina, aber er schiebt den Besuch auf und setzt sich statt dessen in das einzige geheizte Lokal, das er kennt. Rom, diese braune, schwere Stadt, hat sich in etwas dem Inhalt eines Mülleimers Ähnliches verwandelt durch die Nässe, die nun Tag für Tag herabfällt, und in Babingtons Tea Room an der spanischen Treppe läßt sich die Tristesse noch am leichtesten ertragen.
    Während der ersten fünf Tage hat er sich treiben lassen. Einfach so, der Nase nach, vom Frühstück bis zur Müdigkeit. Dann begann er, den Reiseführer zu studieren, aber noch bevor er sich die Vatikanischen Museen, die Engelsburg, die Caravaggios und Berninis ernstlich vornehmen konnte, kam dieser Regen über alles und verwandelte die Stadt in eine Kloake. Also kaufte er einen Regenschirm, deckte sich bei Herder mit Büchern ein, vertrieb die Zeit mit Lesen in Cafés und sah sich hin und wieder um nach Stimmen und Gesichtern.
    Immer wieder hatte sich Rom in seinen Alpträumen ausgebreitet. Und in Le Havre hatte der Einfall, die Fähre könne sinken, schon genügt, um die Schnauze seines Wagens in die Richtung zu lenken, aus der sie dann wie magnetisch angezogen wurde. Jetzt lauscht er dem Regen an den Fenstern, den Geräuschen des Tea Rooms, dem Summen der Stimmen und Klappern von Geschirr, und auf der Alptraumleinwand läuft ein alter Film :

1.
     
    Einstweilen sollte dieser Job nur den Taxischein finanzieren, aber Modell zu sitzen für die Malstudenten gefiel ihm so gut, daß Martin sich vornahm, es weiterhin zu tun. Nicht nur, weil ihm diese werdenden Künstler, die so aufmerksam und mühevoll um die Erfassung seiner Gestalt rangen, viel interessanter erschienen als die Bekannten, die er bisher seine Freunde genannt hatte, sondern auch, weil er bald ein gefragtes Modell geworden war und das in dieser Nachfrage enthaltene Lob ihm gefiel. Er hatte anderen Modellen etwas voraus, was über die Bereitschaft, sich in jede Pose kommandieren zu lassen, hinausging : Er konnte stillhalten. Eine Stunde, manchmal länger, verharrte er in Stellungen, die anderen alle zehn Minuten eine Pause abgenötigt hätten. Er konzentrierte sich und fiel in eine Art von Trance. Wenn die Zeit um war oder die Studenten einen Posenwechsel wollten, mußte man ihn regelrecht aufwecken.
     
    *
     
    Die Studentin, die da so vorsichtig an seinem Knie rüttelte, war ihm unbekannt. Entweder war sie zum erstenmal hier, oder er hatte schon lang nicht mehr in die Gesichter der Zeichnenden geschaut. Näher lag die zweite Möglichkeit, denn es war Anfang Juni und mitten im Semester. Sie war zart und nicht sehr groß, und das einzig Auffällige an ihr waren wasserblaue Augen, deren Blick sich auf keinen Punkt einzulassen schien. Ununterbrochen bewegten sich diese Augen, so, als müßten sie den Raum ausmessen wie Peiltöne einer aufgeregten Fledermaus. Nur hin und wieder streiften sie ihn, als prüfe sie, ob er noch bei der Sache war.
    Sie bat um eine andere Pose. Er sollte sich breitbeinig hinsetzen, den Kopf senken und die Arme rechts und links an sich herabfallen lassen. Er tat, was sie verlangte, und wollte schon wieder in seiner Versenkung verschwinden, da spürte er die Berührung ihrer Hand. Sie korrigierte an seiner Haltung, schob seine Beine etwas weiter auseinander, und was er nie gefürchtet hatte, jetzt geschah es : Das Kitzeln ihrer Finger an den Innenseiten seiner Knie, das Auseinanderbewegen seiner Beine und ihr Blick, das alles zielte so direkt in seinen Schoß, daß er sich spürte. Er versuchte, auszusteigen aus der Aufmerksamkeit auf dieses noch kleine, zuckende Sich-regen, versuchte, sich auf irgend etwas
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