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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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er sich wohler.
    Aber wieder hat er ein Ziel weniger, und wieder steht er unschlüssig auf der Straße. Ich habe Geld, denkt er, ich bin verändert. Aber ein bißchen mehr Selbstsicherheit und teures Zeug, ist das der ganze Unterschied ?
    Es ist Nachmittag, halb vier, ein sonnig blauer Tag, ringsumher nur hübsche, zufriedene Schweizer, und er steht mittendrin. Daß er jetzt einfach wählen kann, müßte großartig sein, und er nimmt sich vor, diesen Zustand auszukosten. Aber es ist nur eine Entdeckung, eine Information, ihm von irgendwoher zugeflogen, eher ein Gedanke als ein Gefühl. Kein Sensorium in seinem Körper ist dafür geschaffen, ein Wissen wie dieses zum Gefühl zu wandeln. Zu genießen ist da nichts, wenn er nichts tut.
    Campari, was denn sonst, geht ihm durch den Kopf, als er sich in ein Straßencafé setzt. Schon glücklich will er sich jetzt nicht mehr nennen. Eher leer. Neutral.
    Mit ausgestrichener Vorgeschichte. Wie neugeboren.
    Daß man solche totbenutzten Formeln auch noch selber denkt. Wie neugeboren, so ein Scheiß. Aber was soll ich anfangen ? Ich kann wählen, ich steh im Freien, ich habe die Augen geöffnet, und niemand schubst mich, zieht mich oder will etwas von mir. Irgend etwas werde ich tun. Aber was ? Der Campari wird vor ihn auf den Tisch gestellt, ein Kassenbon diskret daruntergeschoben.
    Die Gegend ansehen, denkt er, das ist schon mal nicht die schlechteste Idee. Mich an den Gedanken gewöhnen, daß meine Vergangenheit vorbei ist, und beschnuppern, was die Gegenwart mir bietet. Und die Kühle des nächsten Hotelbettlakens genießen. Den Fattori verkaufen.
    Und weitersehen. Zuckt da was ? Zuckt da irgendein Gefühl, ein anderes als das Hochgefühl der letzten Tage, über meinen Solarplexus hinweg ? Nein. Da zuckt nichts.
    Als eine Gruppe von Straßenmusikanten sich in der Nähe aufbaut, denkt er, genieß es, du bist frei, aber als sie »The Boxer« anstimmen, bezahlt er und geht.
     
    *
     
    War der Reiz des Neuen schon verflogen, oder lag es am Hotel, daß die Nacht in Basel ungewöhnlich trist war ? Er freute sich weder an der Berührung mit der Bettwäsche noch an der dezenten Zuvorkommenheit des Portiers.
    Und vor dem Fenster erklang kein Konzert mehr. Es waren nur Geräusche.
    Lag es daran, daß er vorher im Kino gewesen war, und das wirkliche Leben danach nur noch blaß und wie eine schlechte Kopie wirkte ? Keine Kopie des Films, nein, eine von irgendwas, dessen Original er nicht einmal kennt.
    Oder lag es daran, daß er sich überlegte, eine Frau zu kaufen, sich dann aber weder dazu durchringen noch selber ernst nehmen konnte ? Eine Frau kaufen. Schon die Formulierung, in der ihm der Gedanke zu Bewußtsein kam, war lächerlich. Und wie hätte er bezahlt ? Mit einem Euroscheck ? Eine Frau kaufen. Waren das die Kitschphantasien eines neureichen Versagers ? Aber dann dachte er, wieso mach ich mich schlecht ? Warum sollte ich mich lächerlich finden, wenn ich etwas ausprobiere, das meinen Freunden nicht gefiele ? Ich brauche mir keine Zensuren zu geben, kann tun, was ich will. Aber will ich ? Er drehte sich im Kreis und hoffte, daß ihm endlich schwindlig würde. Was rede ich eigentlich immer von Freunden, hörte er die eigene Stimme im Kopf, welche Freunde denn ? Wann jemals hatte ich Freunde ?
    In der Altstadt fand er ein paar Gassen, die nach Rot-lichtviertel aussahen, aber die stumpfen Gesichter der Männer und der Anblick einer besinnungslos betrunkenen Frau ließen ihn schnell wieder umkehren. Ich kenne mich hier nicht aus, sagte er sich, ich weiß nicht, wie das geht, und heute ist nicht der Tag, um den Parsival zu spielen.
     
    *
     
    Jetzt am Morgen ist der Himmel grau, und kleine Wind-stöße blähen die Verpackung des Bildes, als Martin wieder vor dem Versteigerungshaus steht.
    »Hat es einen Herkunftsnachweis dafür ?« fragt der Mann im Office. Also ist es echt.
    Der Mann ist unfreundlich, seine Skepsis offensichtlich, und Martin denkt, sicher einer, der die Kunst liebt, aber nicht ihre Verkäufer.
    »Nein«, sagt er, »es gehört mir. Ich habs gekauft.«
    »Das ist mir zu unsicher. Ohne Herkunftsbescheinigung wird unser Haus das Bild nicht versteigern. Nachher stammt es noch aus einem Diebsgut.«
    Brüsk nimmt Martin das Bild an sich und schlägt es wieder ein : »Was ist es wert ?«
    »Ja, dreißig-oder vierzigtausend, vielleicht auch fünfzig können Sie dafür schon erlösen. Ein italienisches Museum, vielleicht das in Florenz, bezahlt schon einmal soviel. Die
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