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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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sind dort stolz auf den Fattori.«
    »Danke«, sagt Martin und geht.
    »Wiederluege«, murmelt der Mann, und es klingt fast freundlich, so, als spräche er nicht Martin damit an, sondern das Bild.
    Eine Herkunftsbescheinigung, was soll denn das beweisen ? Irgendein Zettel mit irgendeiner Unterschrift.
    Der Mann ist nicht ganz dicht.
     
    *
     
    Der Galerist vom Vortag bietet ihm zwanzigtausend.
    Italienische Realisten hätten nicht gerade Konjunktur, und er könne höchstens ein Museum dafür interessieren, und die wiederum hätten keine großen Etats. Nach einigem Hin und Her sind sie bei fünfundzwanzig angelangt, und Martin wartet, bis das Geld von der Bank geholt ist. Vielleicht bin ich dumm, denkt er, wenn der mir fünfundzwanzig gibt, erwartet er noch mal soviel.
    Der denkt doch, ich will das Bild aus einer Scheidung oder Konkursmasse retten und bin deshalb mit jeder Summe zufrieden. Aber er will auch weg aus Basel und auf keinen Fall mit dem Bild im Kofferraum, denn in Wahrheit gehört es ihm nicht. Er hat es dem Wirt ab-geschwatzt. Es ist fast ein Diebsgut.
    Bei der Bank zahlt er zehntausend ein und legt acht-zigtausend fest. Mit vierteljährlicher Kündigung. Das bringt Zinsen und wird seinen Leichtsinn bremsen.
     
    *
     
    Wieder durch das Elsaß fährt er diesmal nach Norden, denn am Morgen hat er sich für London entschieden.
    Er sucht das Städtchen von gestern und fährt die Strecke in Gegenrichtung. Als er das Café gefunden hat, schämt er sich einzutreten und kauft statt dessen im Laden gegenüber einen Briefumschlag. Dahinein legt er dreitausend Franken und gibt ihn der Bedienung für den Wirt.
    Bevor sie noch im Haus verschwunden ist, hat er den Wagen gestartet und fährt. »Nach England«, sagt er, »ich zeig dir mal den Linksverkehr.« Der Wagen brummt.
     
    *
     
    Jetzt nicht, denkt er, als ihm die Kathedrale von Reims einfällt, und Paris kommt auch ein andermal dran. Er fährt bis Rouen, dort fällt er, ohne zu essen, todmüde ins Bett. Im Mund einen schlechten Geschmack von all den Süßigkeiten unterwegs, aber er putzt sich nicht einmal die Zähne.
     
    *
     
    Was er am anderen Morgen von Rouen sieht, verlockt ihn nicht zum Bleiben, und auch die Straßen von Le Havre führen direkt zum Fährhafen, wo er sich gleich ans Ende der kleinen Warteschlange stellt.
    Das Fährschiff legt an, und das eben noch gelassene Dösen der Fahrer löst sich auf in laute und erwartungsvolle Betriebsamkeit. Kofferaumdeckel werden zugeschlagen, Fenster hochgedreht, Zigarettenstummel weggeworfen und Stereoanlagen leiser gestellt. Und wenn in einem der Autos, die jetzt ihre Motoren anlassen, eine Bombe liegt ? Vor jedem Tunnel und in jedem Fahrstuhl huschen ihm solche Gedanken durch den Kopf. Ein Knall , Schreie, Qualm, die Leute springen von der Reling, und vom Ufer tuckern viel zu langsam Feuerwehrschiffe heran ; die Fähre kippt, und Blech und Leben, alles, was nicht vorher schon herausgeschleudert wurde, reißt einander brüllend in die Tiefe.
    Er startet den Motor und schert aus der Reihe. Brummt der Wagen ärgerlich, oder hört er nur sich selbst, als er sagt : »England sehn wir uns ein andermal an« ?
     
    *
     
    Zum dumpfen Zischen der überholenden Autos denkt er sich Geschichten aus : Die Bombe explodiert, und er ist tot. Die Bank zieht nach Jahren sein bis dahin stattlich angewachsenes Vermögen ein, weil sich kein Blutsverwandter mehr finden läßt. Er stellt sich seinen Tod vor, stellt sich vor, er wird vom Schiff geschleudert, und beim Atemholen ist da nur noch Wasser. Aber diese Geschichte gibt nicht viel her. Auch nicht, als er sich Annes Gram an seinem Grab dazu denkt. Er kichert.
    Ihm fällt ein, daß dies ein Tagtraum seiner Kindheit war.
    Ihr werdet schon sehen, was ihr an mir hattet. Nein, sagt er laut, darüber sind wir doch schon weg, und winkt dem Schild »À bientôt à Le Havre.«
    Viel besser gefällt ihm die zweite Geschichte : Er hätte die Fähre aus irgendeinem Grund noch vor der Abfahrt verlassen und ihren Untergang vom Ufer aus mitangesehen. Er gälte für tot, sein Wagen würde irgendwann geborgen, Anne kassierte seine Lebensversicherung, und jeder Anflug von Trauer ginge einher mit Freude über das viele Geld. Also schämte sie sich dieser Freude, und ihr Volker fände sie abends immer öfter mürrisch und unzugänglich in seinem trauten Heim. Schließlich verließe sie ihn und lebte von der Versicherungsprämie. In Saus und Braus und mit schlechtem Gewissen.
    Diese Geschichte
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