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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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seines Pensionszimmers öffnet. Martin bleibt auf der Schwelle stehen. Mehr als unbedingt notwendig will er nicht ins Leben dieser Comicfigur eintreten. Er überreicht Roy einen kleinen Feuerlöscher und dreitausend Dollar. »Hier ist dein Airbrush«, sagt er, »paß auf, daß niemand was ins Gesicht kriegt.«
    »Yeah, sure«, sagt Roy. »I know what I’m doing.«
    »Gut«, sagt Martin und dreht sich um. »Mach’s gut.
    Ich schick die Artikel an Sharon. Viel Glück.«
    »See you«, hört er Roys Stimme noch hinter sich im Treppenhaus, aber die Antwort : das muß nicht sein, ist nur in seinem Kopf. Er beeilt sich nach draußen zu kommen. Ihm ist schlecht.

21.
     
    Am nächsten Morgen erwachte er vom Rascheln des Zeichenpapiers und sah Anne, wie sie abschätzig ihre Arbeiten studierte.
    Nach einem Blick über ihre Schulter verstand er die Enttäuschung, die sie ganz offenbar empfand. Auf den Skizzen war sein Körper in gewohnter Präsenz und Ausdruckskraft zu sehen, aber ihrer war die reinste Platitüde. Fast wie eine Modezeichnung. Floskelhaft, nicht weit entfernt von der Inhaltsleere eines Piktogramms stand der Frauenkörper in auffallendem Widerspruch zum Männerkörper. Es sah aus, als hätte ein Dilettant in den liegengelassenen Arbeiten eines Meisters herugepfuscht.
    »Das geht so nicht«, sagt er, »du bist dir fremd.«
    »Es geht jedenfalls nicht«, sagte sie, und die Traurigkeit in ihrer Stimme brachte ihn dazu, seine Hand auf ihrer Schulter mit tröstlichem Druck zu bewegen.
    »Und wenn du Fotos nimmst ?«
    »Fotos sind tot. Ich kann nur vom Leben zeichnen.«
    »Und wenn du dich selber vor dem Spiegel so gründlich studierst wie mich ? Mich hast du gut erwischt, ich liege dir schon in der Hand. Du kannst mich aus der Erinnerung holen.«
    »Dann muß ich meinen Körper ansehen. Tagelang oder wochenlang. Das ist unerträglich.«
    »Dein Körper ist der schönste, den ich mir vorstellen kann.«
    Sie machte ein verächtliches Geräusch und wischte seine Bemerkung weg. Immerhin, sie sah ihn diesmal wenigstens nicht an, als rede er vollkommen unverständliches Zeug. Diesmal war sie nur nicht seiner Meinung.

22.
     
    Während der Rückfahrt schwiegen sie, wie sie dann über die ganzen folgenden Wochen und Monate hinweg schweigen sollten. Anfangs war das Schweigen ein höfliches von Martin und ein scheues von ihr, aber nachdem er beim Ausladen des Gepäcks vor der Wohnung fragte : »Wann warst du in Rom ?« und sie antwortete : »Vor zwei Wochen. Zum ersten Mal«, verwandelte sich sein Schweigen in eines schockierter Verletztheit, denn ihm wurde klar, daß sich die erotische Offenbarung auf dem Forum Romanum nur wenige Tage vor ihrer Fahrt aufs Land ereignet haben mußte.
    Sie schwiegen über Weihnachten und den ganzen Winter hindurch bis zum Frühling. Er kochte nicht mehr, sie zeichnete nicht mehr, brachte niemanden nach Hause, verreiste hin und wieder für Wochen und schien geduldig zu warten, bis er wieder schmerzfrei wäre, denn sie wußte genau, was er fühlte.

23.
     
    Anfang April sah er drei Zeichnungen der Spiegelszene in ihrem Zimmer liegen. Sie waren gut. Annes Körper ebenso lebendig und pur wie sein eigener und beide in einer tänzerischen, ausdrucksstarken Sinnlichkeit erfaßt. Die Skizzen hatten eine enorme erotische Anziehungskraft. Sie waren zerrissen. Er sprach sie nicht darauf an.

24.
     
    Ende April fand er in einer Buchhandlung beim ziellosen Herumblättern in Kunstzeitschriften eine Ausgabe, auf deren Titel er den Professor erkannte, der ihn so harsch hatte abblitzen lassen. Volker Hanisch. Der Mann, bei dem Anne das Tutorium machte. Mal sehen, was das Arschloch kann, dachte er und schlug das Heft auf.
    Es war nicht sehr originell, was er sah, erinnerte an Horst Janssen und ein wenig auch an Hrdlicka, aber er verstand auch, weshalb Anne bei diesem Mann studierte.
    Er hatte Respekt vor menschlichen Körpern, benutzte sie nicht nur als Zeichen oder Füllsel, die Figuren waren Inhalt seiner Arbeit, nicht Vorwand.
    In einem Kasten mit der Überschrift »Das erotische Œuvre« sah er sich und Anne ! Fast erbrach er sich vor Entsetzen, und für einen Augenblick wußte er nicht mehr, ob er lag oder stand. Er mußte sich irgendwo anlehnen und stieß dabei drei großformatige Bücher um, die polternd zu Boden fielen. Den vorwurfsvollen Blick der Buchhändlerin, die gleich herbeirannte, um den Schaden zu beheben, bemerkte er nur wie durch einen Nebel. Er sah seine Fingerknöchel weiß vor
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