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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz
Autoren: Thommie Bayer
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zu konzentrieren, aber nichts fiel ihm ein, und er entkam dem Pulsieren und der Spannung nicht mehr, so breit und offen, wie er dasaß, unverfehlbar für diese und fast alle anderen Augen. Er hoffte, sie hätte nichts bemerkt, und verlangte hastig eine Pause. Ohnehin müsse er heute leider früher Schluß machen. Er schloß die Beine und griff in Panik nach seinen Jeans, verzichtete auf die Unterhose, denn jetzt ging es um Sekunden. Ein schneller Blick in die Runde zeigte ihm, daß zwei Studenten grinsten, und er war sich sicher zu erröten, als er die Unterhose einfach in die Jackentasche stopfte.
    Er mußte das Mädchen wohl wütend angesehen haben, denn auf einmal hielten ihre Augen still und sahen ihn direkt an. »Entschuldige«, sagte sie so leise, daß die anderen es nicht hören würden.

28.
     
    Babingtons Tea Room ist nur spärlich besetzt. Es fehlen die Damen, die sich bei schönem Wetter aus ihren teuren Schalen winden und Trauben von Taschen mit Aufschriften der umliegenden Geschäfte neben ihre Stühle stellen, um sich dann bei einem Imbiß über ihre Söhne und Töchter zu unterhalten. Nur ein harter Kern sitzt heute hier. Heimwehkranke Engländer rascheln mit großformatiger Lektüre, und andere Ausländer, allesamt wohl schon länger in der Stadt und aus ungeheizten Räumen in diese schallgedämpfte Oase geflüchtet, lassen sich trösten von der exterritorialen Aura dieses Ortes.
    Den Mann, der da eben, seinen Mantel überm Arm, nach einem freien Haken an der Garderobe sucht, kennt Martin aus der Buchhandlung Herder, wo sie sich vor einigen Tagen ein kleines Rennen lieferten. Eine Sekunde zu spät war der andere auf das letzte Exemplar des neuen Le Carré aufmerksam geworden, und sein enttäuschter Blick fixierte Martins Hand. Martin, der sich grundlos im Unrecht fühlte, hielt ihm das Buch hin, aber der Mann zeigte lachend seine Handflächen und trat mit dieser Geste einen halben Schritt zurück.
    »Nein, du warst ja zuerst dran. Ich frag, ob sie’s noch am Lager haben.«
    In fließendem Italienisch wandte er sich an eine Verkäuferin, aber die schüttelte den Kopf, machte eine ähnliche Gebärde wie er und sagte etwas von einer oder zwei Wochen, die es dauern könne. Martin fühlte sich, als habe er eine Kostbarkeit errungen.
    Jetzt liegt das Buch neben ihm auf der Bank. Vor zehn Minuten ausgelesen. Er nimmt es hoch, winkt damit und ruft durch den Raum : »Ich leihs dir aus !«
    Einige Augenpaare richten sich auf ihn, und der Mann kommt lächelnd her. »Ehrlich ?«
    Er wirft seinen Mantel über eine Stuhllehne und fragt : »Darf ich ?«
    Er muß in Martins Alter sein, hat ein angenehmes, spitzes Gesicht und kurzes, früh angegrautes Haar. Er nimmt das Buch von der Bank und liest den Klappentext.
    »Ich heiße Manfred.«
    »Ich nicht.«
    Beide lachen. Der Mann mit der Spur eines Verdachts, Martin könne eine lästige Stimmungskanone sein und die Idee, mit ihm zu reden, ein Fehler. Martin selbst ist verblüfft, denn einen Augenblick lang hat er wirklich seinen Namen nicht gewußt. Die flapsige Antwort war nicht als Witz gemeint.
    »Aber Martin«, sagt er, »was fast aufs gleiche raus-kommt.«
    »Stimmt«, sagt Manfred, »und Christian und Peter und Thomas und Michael. Die fünfziger Jahre. Und unsere Töchter heißen Anna, Julia und Saskia.«
    »Hast du Töchter ?«
    »Eine. Und einen Sohn.«
    Martin sieht ihn fragend an.
    »Julian«, lacht Manfred, »und Saskia. Anna fehlt noch in der Sammlung.«
    Manfreds Mißtrauen muß verflogen sein, denn ohne Stocken kommen sie ins Gespräch. Martin lügt : Er schreibe ein Buch und sei deshalb hier in Rom, um sich ohne Alltag und Telefon auf den Text zu konzentrieren. Er weiß nicht, weshalb er lügt, es kommt einfach so heraus ; er hört sich selber zu und findet in Ordnung, was er da zusammenphantasiert. Vielleicht, weil er eigentlich tot sein könnte ? Wenn die Bombe an Bord gewesen wäre.
    Manfred kommt aus Süddeutschland, illustriert Kinderbücher und lebt mit seiner Familie seit zwei Jahren hier. Seine Frau ist Malerin, und seine Tochter geht auf die deutsche Schule. Martin gibt ihm die Adresse der Pension, damit er das Buch irgendwann zurückbringen kann. »Aber keine Eile«, sagt er noch, als Manfred sich verabschiedet, ohne etwas bestellt zu haben. Es regnet nicht mehr.
     
    *
     
    In einem kleinen Park hinter dem Quirinale, als die Abendsonne durch die Wolken bricht und ihre Strahlen-bündel die milchigen Schwaden aufsteigender Feuchtigkeit
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