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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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jedenfalls.«
    »Und Zeit, diese Schriften lesen zu lernen, haben Sie gefunden?« fragte der Junge ein wenig spöttisch.
    »Für das, was man liebt, findet man auch Zeit«, antwortete Herr Passlinger. »Ich glaube, ich besitze in Indianapolis die bedeutendste Gemäldesammlung. Besonders interessierte ich mich für Bilder, die die Menschen und das Leben in den Staaten zum Thema haben.«
    »Neger und Indianer und so?«
    »Ja, auch Neger und Indianer. Indianer vor allem.«
    »Hier in diesem Ölpapierpaket sind solche Bilder«, sagte der Junge eifrig.
    Herr Passlinger drängte darauf, sie auszupacken und einen Blick darauf zu werfen. Er glich einem Angler, an dessen Köder ein Fisch schnuppert. Als der alte Mann zwei Stunden später die Kajüte betrat, da hatten der Junge und Herr Passlinger bereits alle Bilder ausgepackt. Auf Kojen und Schrank, Tischchen und Waschbecken, an den Wänden und auf dem Boden standen und lagen die Bilder. Und mitten darunter saß Herr Passlinger mit gerötetem Gesicht und glänzenden Augen. Laut rief er dem alten Mann entgegen: »Herr Bienmann, Sie haben einen Maler zum Sohn. Diese Bilder sind herrlich!«
    »Schön sind sie«, sagte der alte Mann unsicher. »Aber was hat er davon? Nicht einmal anständig leben kann er von dem, was ihm die Kunst einbringt.«
    »Herr Bienmann«, sagte der Brauereibesitzer feierlich, »Herr Bienmann, das wird sich ändern. William Passlinger entdeckt keinen Maler, der am Hungertuch nagen muss. Verkaufen Sie mir ein halbes Dutzend von diesen Gemälden.« Er deutete dabei auf einige Bilder. »Ich gebe Ihnen für das Stück zwanzig Dollar auf die Hand. Aber, ich sage es Ihnen gleich, die Bilder sind erheblich mehr wert. Als Ausgleich arrangiere ich auf diesem Schiff eine Gemäldeausstellung. Dort werden wir für die Bilder verlangen, was sie wirklich wert sind. Und wir werden es bekommen, so wahr ich William Passlinger heiße. Hier auf der ›Donau‹ reist allerhand Geld.«
    »Sie müssen den Luke fragen, Herr Passlinger«, sagte der alte Mann. »Dem gehören die Bilder.«
    »Na, Junge, was sagen Sie?«, drängte Herr Passlinger.
    »Ich weiß nicht«, zögerte der Junge. »Vielleicht lachen die Passagiere.«
    »Ganz sicher lacht niemand, wenn William Passlinger eine Ausstellung gut findet. Aber Sie haben Recht. Überschlafen Sie die Sache bis morgen. Dann werden wir weitersehen.«
    Der Junge räumte die Bilder weg. Dann ging er an Deck. Die See lag ruhig. Der Dampfer hatte den Schlepper längst zurückgeschickt. Die Ufer waren nicht mehr zu sehen. Ruhig stampfte die Maschine. Unter ihrer Gewalt zitterte das Schiff leise. Kein Segel war aufgezogen. Eine weiße Schaumspur zeigte, dass die Kraft der Schraube das Schiff vorwärts trieb. Die Rauchfahne aus dem Schornstein wurde nach Backbord hin abgetrieben. Der alte Mann stellte sich neben den Jungen.
    »Na, wie wirst du dich entscheiden, Luke?«
    »Ich könnte die Bilder verkaufen.«
    »Ja, das könntest du.«
    »Ich könnte für 2000 Taler Bilder verkaufen.«
    »Ja, Junge. Aber 2000 Taler, das ist viel, viel Geld.«
    »Damit könnte Vater seine Schulden bezahlen.«
    »Das wäre gut, Junge.«
    Der alte Mann starrte auf das Meer.
    »Das wäre gut«, wiederholte er. »Aber vielleicht ist unser Kajütengefährte ein Aufschneider oder ein Spinner. Wer kauft schon Bilder, die fünfzig Dollar oder mehr kosten?«
    »Ich weiß nicht, Großvater. Aber vielleicht finden die Passagiere die Bilder wirklich schön. Und Geld scheinen die meisten genug zu haben.«
    »Wir werden sehen, Luke.«
    Die Messe sah aus wie eine übervolle Gemäldegalerie.
    Herr Passlinger war schon vor der Eröffnung der Ausstellung von Bild zu Bild gegangen und hatte bereits neben fünf Gemälden mit weißer Kreide ein deutlich sichtbares Kreuz gemalt.
    »Es ist wichtig, dass schon Bilder verkauft sind«, sagte er. Schließlich wollte er das sechste Kreuz neben das Bild von der Baumwoll­ernte machen. Aber da erhob der alte Mann Einspruch: »Das Bild ist verkauft«, sagte er.
    »Wieso?«, protestierte Herr Passlinger. »Die Ausstellung wird doch erst in zehn Minuten eröffnet.«
    »Mag sein«, erwiderte der alte Mann. »Aber dieses Bild habe ich gekauft. Für fünfzig Dollar.«
    Er zog einen Fünfzigdollarschein aus seiner Geldtasche und reichte ihn dem Jungen. Mit seinem Zimmermannsstift malte er neben das Bild ein deutlich sichtbares Kreuz.
    »Schade«, bedauerte Herr Passlinger. »Wie dieser Nigger da die Baumwolle fasst! Exzellent!« Er wählte dann
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