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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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    »Dieser Mann lebt nicht mehr lange«, sagte er leise, als sie im Treppenhaus waren. »Er stirbt möglicherweise schon beim nächs­ten Anfall. Ist der Mann ein Verwandter von Ihnen? Oder ist er ein Freund, der mit Ihnen sein Glück gesucht hat?«
    »Schafft er die Überfahrt?«, fragte der alte Mann. »Er möchte so gern zu Hause sterben.«
    »Wenn keine Anfälle mehr kommen«, antwortete der Arzt und zuckte die Achseln. »Ich würde an Ihrer Stelle die Passagegebühren allerdings nicht zum Fenster hinauswerfen.«
    Der alte Mann bezahlte den Arzt.
    »Wir werden hier in New York warten, bis es dir etwas besser geht«, sagte der Junge zu Döblin. Der alte Mann war nicht mit diesem Angebot einverstanden und erwiderte: »Lange Zeit, Junge, haben wir nicht mehr. Ich muss nach Liebenberg, wenn ich nicht Haus und Hof verlieren will.«
    »Ich werde bleiben, Großvater, solange es Döblin nicht besser geht«, beharrte der Junge.
    Döblin selbst verlangte: »Ich will nach Liebenberg zurück, Fried­rich. Ich will nach Hause. Auf dem Meer ist die Luft rein und gut. Die wird mir nicht schaden. Geh los, Friedrich, und such ein Schiff, damit wir endlich hier wegkommen.«
    »Du kannst in diesem Zustand nicht auf ein Schiff, Döblin«, sagte der Junge. »Das würde dich umbringen.«
    »Das Warten bringt mich um, Luke. Ich werde es schon durchstehen. Und wenn mir doch etwas passiert, bevor ich zu Hause ankomme, dann gebt meinen ganzen Lohn den Eltern von Andreas. Ich hab ja niemand mehr.«
    »Wirst dein vieles Geld noch selbst verjubeln«, sagte der alte Mann, aber es klang wenig Zuversicht aus seiner Stimme. Unentschlossen schauten der alte Mann und der Junge sich an. Döblin schien die Hoffnung, sich bald einschiffen zu können, neu zu beleben. Er versuchte einen Spaß und sagte: »Aber wenn ich mal sterbe, Luke, dann pass auf, dass mir keiner den goldenen Ring aus dem Ohr stiehlt. Alles können sie haben. Aber den Zimmermannsring, den will ich mit ins Grab nehmen. In Liebenberg selbstverständlich«, fügte er hinzu.
    »Na, dann komm, Großvater, suchen wir ein Schiff«, sagte der Junge.
    »Wir kommen bald zurück«, versprach der alte Mann.
    Sie fragten im Hafen nach einem deutschen Schifffahrtskontor. Das große Büro war bald gefunden.
    »Nach Danzig wollen Sie?« Der Mann, der an einem hohen Schreibpult stand, lachte laut. »Oh Mann, nach Danzig! Nach Danzig gibt’s keine Linie, kein einziges Schiff.«
    »Aber wir sind doch vor zwei Jahren in Danzig abgesegelt und gut in New Orleans angekommen«, protestierte der alte Mann.
    »Mag sein, dass da noch ein Einzelgänger gefahren ist. Aber wenn Sie schnell nach Deutschland wollen, Mr. Bienmann, dann schiffen Sie sich nach Bremerhaven ein. Die ›Donau‹ ist ein hervorragendes Dampfschiff des Norddeutschen Lloyd. Sticht übermorgen in See. In sechs bis acht Tagen ist sie in Bremerhaven.«
    »Und nach Hamburg? Fährt kein Schiff nach Hamburg?«
    »Doch. Hamburg wird von der Hapag angefahren. Aber das nächste Schiff geht erst in etwa zwei Wochen.«
    »Was meinst du?«, fragte der alte Mann den Jungen.
    »Ich denke«, antwortete der Junge, »wenn wir Döblin hinüberschaffen wollen, sollten wir keine Zeit verlieren.«
    »Von Bremerhaven aus können Sie leicht mit der Eisenbahn weiterreisen. Der Zug hält genau dort, wo das Schiff vor Anker geht«, erklärte der Kontorist eifrig.
    »Gut.« Der alte Mann holte seine Geldtasche heraus. »Wir buchen drei Plätze auf dem Zwischendeck.«
    »Das geht nicht«, lächelte der Mann im Kontor und blinzelte über seine Brille hinweg die beiden Deutschen an. »Sie reisen wohl zum ersten Mal in dieser Richtung über den Teich, wie? Auf der Rückreise nimmt die ›Donau‹ Ladung ins Zwischendeck. Machen alle Schiffe so. Zurück nach Europa fahren nur wenige Menschen. Aber wir haben sechzig Kajütenplätze auf der ›Donau‹. Zehn davon sind noch frei. Sie können wählen. Entweder Sie nehmen eine Kajüte oder Sie schwimmen nach Bremerhaven.«
    Sie erkundigten sich nach dem Preis und buchten schließlich eine Kajüte mit drei Kojen.
    Knapp drei Stunden waren sie unterwegs gewesen. Als sie in ihr Quartier zurückkehrten, drängten sich stumm und neugierig die Bewohner des Hauses vor ihrer geöffneten Zimmertür.
    »Geht zur Seite«, sagte der alte Mann. »Wir gehören dazu.« Er schob sich ins Zimmer. Der Junge folgte ihm. Neben Döblins Bett saß ein junger Priester. Er hatte die Stola über die schwarze Soutane gelegt. Auf dem Boden
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