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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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Der Wagen rasselte los. Der alte Mann war aufgeregt und fragte den Kutscher viermal, ob es noch weit sei. Der antwortete jedes Mal einsilbig: »No.«
    Dann hielt er in einer schönen Straße vor einem steinernen, zweistöckigen Gebäude. Der alte Mann zahlte. Sie luden die Kisten gerade ab, da wurde die Haustür aufgerissen und der Junge stürzte aus dem Haus.
    »Großvater!«, rief er, packte den alten Mann an den Schultern und sagte: »Wie gut, dass du gekommen bist.«
    Gerhard Warich und Lenski kamen hinzu und auch Bruno Warich, den der alte Mann aber nur an seinen schwarzen, welligen Haaren erkannte.
    »Hast dir allerhand Speck für den Winter zugelegt, Bruno«, frotzelte er und stieß mit der Faust leicht gegen Brunos massigen Leib.
    »Hab ‘ne Frau gefunden, die gut kocht«, sagte Bruno und stellte den alten Mann und Döblin seiner Familie vor. Seine Frau Mareike war aus Holland eingewandert. Sie stand Bruno an Leibesfülle nicht nach. Die vier Kinder waren schmal und drahtig und schienen gar nicht zu diesen Eltern zu gehören. Sie sprachen zwar Deutsch, aber das war so fehlerhaft und mit holländischen Wortbrocken durchsetzt, dass der alte Mann ihr Amerikanisch besser verstehen konnte. Sie gingen ins Haus.
    Erst als sie rund um den Tisch saßen und Mareike einen frischen Kuchen aufsetzte, wagte der alte Mann zu fragen: »Und Karl? Wisst ihr was von meinem Sohn Karl?«
    Der Junge schaute vor sich auf den Tisch. Schließlich antwortete Lenski: »Er ist weg, Friedrich Bienmann. Er wollte schon lange rauf nach Oregon. Hatte zwei Kumpel, die was vom Goldwaschen verstehen.«
    »Seit wann ist er weg?«, fragte der alte Mann mit leiser Stimme, »sagt mir, seit wann?«
    »Wir kamen am Dienstag gegen Mittag an. Am selben Abend ist er noch losgezogen«, antwortete Gerhard Warich.
    »Er hätte doch die paar Tage noch warten können!«, brach es aus dem alten Mann heraus. »Oder habt ihr ihm nicht gesagt, dass ich höchstwahrscheinlich herkommen wollte?«
    »Das haben wir ihm gesagt, Friedrich. Und es schien uns, als ob er es danach ganz besonders eilig hatte.«
    »Und du, Luke, hast du denn deinen Vater noch angetroffen?«
    »Nein, Großvater. Ich bin erst gestern hier angekommen. Ich bin mit einem Mississippidampfer heraufgefahren. Ich bin gleich in seine Wohnung gerannt, aber er war nicht mehr da.«
    »Und er hat nichts gesagt, nichts hinterlassen?«, fragte der alte Mann und seine Worte klangen rau.
    »Für dich nicht, Friedrich. Nur dem Luke hat er einen Brief dagelassen. Für den Fall, dass er kommt.«
    »Einen Brief?«
    »Ja«, antwortete der Junge. »Es ist kein Geheimnis, was darin steht. Er schreibt: ›Lieber Junge, es gibt Entscheidungen, die jeder ganz allein für sich fällen muss. Niemand kann einem diese Entscheidungen abnehmen. Das ist es, was ich habe lernen müssen. Dein Vater.‹ Und darunter: ›Wenn dir die Bilder in der Wohnung gefallen, dann kannst du sie haben.‹«
    Der Junge ließ den Brief sinken.
    »Und das hier hat er mir als Geschenk zurückgelassen«, fuhr er fort, zog eine kleine goldene Uhr aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
    Der alte Mann nahm sie in die Hand, betrachtete sie genau und sagte: »Hat sich nicht getrennt von seinem Erbstück, der Karl.« Er hielt die Uhr ans Ohr und nickte. »Sie geht noch.« Er schaute sie noch einmal nachdenklich an, gab sie dann aber dem Jungen zurück. »Ich möchte sehen, wo er gelebt hat«, fuhr er schroff fort und stand so hastig auf, dass sein Stuhl umstürzte.
    »Da gibt’s nicht viel zu sehen, Friedrich«, sagte Bruno. »Hatte ein paar Straßen weiter zwei Zimmer im Dachgeschoss. Die Leute nannten ihn den ›verrückten Charly‹. Hat gemalt und gemalt und wenn er mal ein Bild für ‘n paar Dollar verkauft hat, dann ist er gleich in den Laden gerannt, hat’s für neue Farben, neue Leinwand ausgegeben.«
    »Ich will hin«, sagte der alte Mann.
    »Geh mit ihm, Luke«, sagte Lenski. »Zeig’s ihm.«
    Ohne ein Wort zu wechseln, liefen sie etwa eine Viertelstunde. Die Straßen waren enger geworden. Die Häuser machten einen verkommenen Eindruck, Ölfarbe blätterte von den Fassaden, die kleinen Vorgärten waren ungepflegt.
    »Hier ist es«, sagte der Junge schließlich und blieb vor einer schmalen Haustür stehen.
    »Wir müssen uns den Schlüssel geben lassen.«
    Die Hauswirtin begrüßte den Jungen freundlich. »Die restliche Miete hast du ja berappt, Junge. Hol mir nur bald die Klecksereien ab, damit ich die Wohnung wieder vermieten
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