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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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nicht aufregen. Mehrmals hatte er in den letzten Tagen ein Gefühl gehabt, als packe eine Faust ihn an der Kehle, und wild hatte er nach Luft geschnappt. Er wollte sich nicht aufregen.
    Der alte Mann suchte noch zwei Tage lang nach dem Jungen. »Der wird bereits in St. Louis sein, Friedrich«, sagte Döblin. »Er ist doch sechzehn Jahre alt und längst kein Kind mehr.« Der alte Mann bestellte zwei Krüge Bier.
    »Ich schulde dir ein Bier«, sagte er zu Döblin. »Stoß mit mir an. Ich habe die ganzen Nächte gegrübelt. So völlig Unrecht hattest du nicht. Wie soll ich meiner Hedwig entgegentreten, was soll ich der Marie sagen, wenn sie mich fragen, warum ich Karl nicht aufgesucht habe?«
    »Was willst du also tun?«
    »Ich will nach St. Louis. Von dort aus fahren auch Züge an die Ostküste.«
    »Willst du von dort allein nach Hause fahren?«
    »Na, ich denke, du willst mitkommen.«
    »Ich meine, was ist mit dem Jungen, was ist mit Karl?«
    »Döblin, du hast mir gesagt, dass der Luke kein Kind mehr ist. Er muss sich selbst entscheiden. Und der Karl auch.«
    »Ja, Friedrich, das müssen sie wohl. Aber eins frage ich mich doch.«
    Er schaute den alten Mann an und schmunzelte.
    »Immer noch nicht mit mir zufrieden?«, lachte der alte Mann.
    »Ich frage mich, Friedrich, warum wir eigentlich noch zwölf Stunden in Memphis vergeuden sollen. Eisenbahnen fahren auch in der Nacht.«
    Sie tranken ihre Krüge in einem Zuge leer, packten ihre Kiste und ließen das Gepäck mit einer Handkarre zum Bahnhof fahren. Am schwierigsten war es, die Schubladenbretter des Küchenwagens zu transportieren. Aber der alte Mann schüttelte entschieden den Kopf, als Döblin ihm vorschlug einen Teil davon mit der Post loszuschicken.
    Übermütig lösten sie Karten für den Salonwagen. Kurz vor Mitternacht lief der Zug von New Orleans ein und fuhr bald darauf nach St. Louis weiter. An Schlafen war trotz der weichen Sessel nicht zu denken, denn eine Traube von Männern ballte sich um einen Tisch, an dem mit hohem Einsatz gespielt wurde. Gewinne und Verluste wurden heiß diskutiert.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte der alte Mann missbilligend. »Das Geld musste sicher sauer verdient werden. Und hier wirft so mancher den Lohn eines Monats in einer Nacht fort.«
    »Du siehst nur die eine Seite«, grinste Döblin. »Wenn man Glück hat, dann wird man in einer einzigen Nacht zum reichen Mann.«
    »Auf Spielerglück hat noch keiner ein Haus gebaut«, ereiferte sich der alte Mann. »Ich würde mich niemals einem Zufall ausliefern.«
    »Schon gut, Friedrich. Jeder ist eben, wie er ist. Was du nicht schwarz auf weiß berechnen kannst, das ist dir nicht geheuer. Aber muss alles, was dir nicht in die Zahlen passt, deshalb auch schon schlecht sein?«
    Er holte zwei Zehndollarscheine aus seinem Brustbeutel und sagte: »Schau her. Ich werde mit diesen zwanzig Dollar spielen. Wenn ich gewinne, dann ist das herrlich und ich fahre in einer Luxuskabine über den Teich und trinke Champagner. Verliere ich die lumpigen Dollars, dann habe ich für einen Traum und ein paar Stunden Spannung bezahlt, Spannung, die mir das Blut schneller durch die Adern jagt.«
    »Zwanzig Dollar, Döblin, daran kleben viele Stunden harter Arbeit. Und bleibt es bei den zwanzig Dollar? Wirst du nicht mehr einsetzen, wenn du verlierst und den Verlust ausgleichen willst? Bei allen Spielern ist’s mit einer kleinen Münze losgegangen.«
    »Bei mir bleibt es bei zwanzig Dollar, Friedrich.«
    Er ging zu den Spielern hinüber, sah eine Weile zu und begann dann mit kleinen Einsätzen mitzuspielen.
    Nach drei Stunden kehrte er an seinen Platz zurück. Er wollte dem alten Mann erzählen, dass er vor einer Stunde noch achtzig Dollar Gewinn gezählt habe. Aber der alte Mann hatte die Augen geschlossen. Nun, auch wenn er ihn nicht schlafend angetroffen hätte, Döblin hätte ihm ganz gewiss verschwiegen, dass er weitere dreißig Dollar verloren hatte und drauf und dran gewesen war, noch einmal in die Tasche zu greifen. Nur ein eiserner Ring um seine Brust, der sich plötzlich verengte und ihm den Atem nahm, hatte ihn am weiteren Spiel gehindert. Als der Anfall vorüber war, war der Spielrausch verflogen. Döblin lachte über sich selbst. »Packst du den Teufel am Schwanz«, murmelte er, »dann musst du dich nicht wundern, wenn du daran festklebst.«
    Gegen Morgen hielt die Eisenbahn an einer kleinen Station. Es waren im Freien Tische und Bänke aufgestellt. Während die Lokomotive Wasser und Kohlen
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