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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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Sicherheit vertäute er die Kisten gut.
    »Das hoffe ich auch, Herr Bienmann. Die vielen Seekranken machen sonst die Überfahrt unangenehm.«
    »Werden Sie nicht seekrank?«, fragte der Junge.
    »Nein. Jedenfalls habe ich, als ich 1849 mit einem Seelenverkäufer von Segelschiff mehr als zehn Wochen unterwegs war, nichts von Seekrankheit gespürt.«
    »Mich erwischt es bestimmt wieder«, seufzte der alte Mann.
    »Sie bekommen dann als Kajütenpassagier eine Medizin, Seewasser mit Moselwein gemischt«, lachte Herr Passlinger.
    »Hilft das denn?«, zweifelte der alte Mann.
    »Ich nehme an, dass weder das Salzwasser noch der Wein etwas nützen. Aber der Glaube daran, der hilft vielleicht.«
    Sie wurden zum Essen in die Messe gebeten. Ein flacher Deckaufbau war sehr bequem mit langen, gepolsterten Bänken ausgestattet, die vor schmalen Tischen standen. Die Passagiere blieben stehen. Der Kapitän trat mit seinen Offizieren herein, begrüßte die Damen und Herren und stellte seine Leute vor. Dann wünschte er eine angenehme Überfahrt, sprach laut ein Tischgebet und sagte: »Guten Appetit bei der ersten Mahlzeit an Bord der ›Donau‹.«
    Stewards klappten an den Polsterbänken Rücklehnen heraus. Die Passagiere nahmen Platz.
    »Man sitzt so herrlich wie in Abrahams Schoß«, sagte der Junge und wippte mit dem Polster.
    »Und ein Essen wird aufgetragen wie beim reichen Prasser«, lobte Herr Passlinger.
    Als das Mahl beendet war, gab der Kapitän noch einige Verhaltensmaßregeln und schloss: »Im Übrigen hängt innen in jeder Kajüte an der Tür eine Schiffsordnung für Passagiere. Ich bitte Sie diese sorgfältig zu studieren und sich daran zu halten.«
    »Können Sie lesen?«, fragte Herr Passlinger den Jungen. Der war es nicht gewohnt, mit Sie angeredet zu werden, und stotterte: »Sicher. Ich kann gut lesen.«
    »Dann bitte ich Sie, dass Sie mir später die Ordnung vorlesen.«
    »Sind Ihre Augen schlecht?«, erkundigte sich der alte Mann.
    »Nein. Ich kann sehen wie ein Falke. Aber ich hatte nie Zeit mir das Lesen beizubringen.«
    »Wir kommen aus einem Dorf an der Grenze«, wunderte sich der Junge. »Da können alle lesen und schreiben. Sie sehen nicht aus, als ob Sie in der Wildnis groß geworden wären.«
    »Ich habe schon als Kind in einem Betrieb hart arbeiten müssen. Ich war der älteste Sohn bei sieben Geschwistern. Mein Vater hatte ein Lungenleiden. Für die Schule blieb wenig Zeit. Später in den Staaten hatte ich bald Leute, die mir das Lesen abnahmen. Da hatte ich noch weniger Zeit.«
    »Haben Sie gute Arbeit gefunden?«, fragte der alte Mann.
    »Das kann man sagen«, antwortete Herr Passlinger und lächelte. »In Baden, da wo ich herkomme, da habe ich schwere Bündel mit Hopfen und Säcke voll Gerste in die Brauerei gefahren. Aber hier hab ich mit meinem Bruder selbst eine Brauerei aufgebaut. 29 Jahre haben wir geschuftet. Jetzt fahre ich für drei Monate in meine Heimat zurück.«
    Sie verließen die Messe. Der alte Mann blieb an Deck. Der Junge wollte noch mehr von Herrn Passlinger erfahren, aber der wehrte ab und fragte: »Erzählen wir nicht immer nur von mir. Wie ist es Ihnen ergangen? Vor allem aber, was haben Sie für einen Schatz dort in den Kisten verborgen?«
    »Bilder«, antwortete der Junge, und als er Herrn Passlingers erstaunten Blick sah, fuhr er fort: »Lauter Gemälde. Die hat mein Vater gemalt. Er ist nämlich ein Maler.« Er zog das Medaillon an der Lederschnur hervor und reichte es Herrn Passlinger.
    Der trat an das Bullauge und schaute die Bilder genau an. »Gute Arbeit. Vorzügliche Arbeit«, lobte er. »Erinnert mich irgendwie an die ersten Maler in den Staaten. Haben Sie schon Bilder von Hicks gesehen oder von Catlin?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. Er hatte noch nicht einmal die Namen dieser Maler gehört.
    »Na ja«, sagte Herr Passlinger. »Irgendwie erinnern mich diese Bilder daran.« Aber diese hier sind zu klein. Um genau beurteilen zu können, ob Ihr Vater wirklich etwas kann, müsste ich größere Bilder von ihm sehen.«
    »Sie können nicht lesen, verstehen aber etwas von Bildern?«, fragte der Junge.
    »Ach, wissen Sie«, antwortete Herr Passlinger, »die Buchstabenschrift ist nicht die einzige Schrift. Es gibt die Schrift der Bildhauer, der Baumeister, der Goldschmiede und auch die der Maler. Hinter jedem Kunstwerk steckt eine Botschaft. Nur sind die Menschen für diese Botschaften blind geworden, seit sie die Buchstabenschrift gelernt haben. Die meisten
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