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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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einem Pfade, der kaum merklich
    kennbar war, gegen den Zaun und das Haus. Ich ging durch
    das offene Türchen des Zaunes hinein. Da kam mir Wil-
    helm entgegen, der sehr alt geworden war, und sagte: „Seid
    Ihr doch der Vetter Rupert?“ „Ich bin es, und du bist Wil-
    helm“, antwortete ich. „Ja,“ sagte er, „und seid gegrüßt, Ihr
    müßt warten, der Herr wird erst in einer Stunde kommen.“
    „Ich werde warten,“ entgegnete ich, „sei mir auch du
    gegrüßt, Wilhelm.“
    „Was die Zeit vergeht,“ sagte Wilhelm, „und ich habe
    Geschäfte, setzt Euch nur in dem Hause auf einen Stuhl.“
    „Tue deine Geschäfte,“ antwortete ich, „gehe in das Haus,
    ich werde hier im Freien warten.“
    „Nun, so tut, wie Ihr wollt“, sagte er.
    Nach diesen Worten ging er in das Haus; ich aber setzte
    mich in ein Stück Schatten, das von dem Überdache auf
    die Bank vor dem Hause herabfiel.
    Nach einer Stunde, da die Strahlen der heißen Mittag-
    sonne in die grauen Steine niedersanken, kam der Vetter
    langsam gegen das Haus und gegen mich. Er hatte einen
    Rock an, der so grau war wie die Steine. Er hatte ein Bein-
    kleid von derselben Farbe und an den Füßen starke Stie-
    fel. Auf dem Haupte trug er einen grauen Hut mit einem
    schwarzen Bande, und um die Schultern hatte er an einem
    Riemen ein flaches, viereckiges Fach, das mit braunem Le-
    der überzogen war. Er hatte eine Gestalt, wie ich sie noch
    an seinem Vater und an meinem Großvater gesehen hatte.
    Sein alterndes, bräunliches Angesicht mit dem grauen
    Stutzbarte war fast so schön wie bei meinem Vater. Hinter
    ihm ging ein gelblich-weißer Wolfshund von ungewöhnli-
    cher Größe. Ich stand auf; er aber sagte, da er bei mir war:
    „So besuchst du mich in meiner Waldburg. Sie ist aus Holz,
    wie die des alten Königs Etzel, nur ist sie kleiner und steht
    nicht auf einer grauen Heide, wie die seinige, sondern un-
    ter diesen grauen Steinen. Gehe herein.“
    Er beschwichtigte den Hund, der einige Mißtöne gegen
    mich gab, und wies mit der Hand gegen die Tür. Ich ging
    durch dieselbe ein, er folgte mir und führte mich dann in
    eine Art Saal, dessen Wände mit rötlichem Leder über-
    zogen waren, auf welchen in Metallrahmen Bilder seiner
    Vorfahren hingen. Sie waren offenbar Nachbilder. Sonst
    hingen noch Waffen von der ältesten Zeit bis in die neue
    da. Die Geräte waren mit dem Leder der Wände überzo-
    gen. An den Fenstern waren seidene Vorhänge von der
    gleichen rötlichen Farbe zurückgeschlagen, und die nämli-
    che Seide bedeckte den Tisch, der mitten in dem Zimmer
    stand. Wir legten unsere Hüte auf den Tisch. Da sah ich,
    daß die reichlichen Haare meines Vetters braun gewesen
    sein mochten, wie die meines Vaters, daß sie aber jetzt
    stark mit Grau gemischt waren. Seine Augen glänzten un-
    gewöhnlich. Er sprach zu mir. „Das ist der Burgsaal. Ich
    grüße dich als Gast, iß das Stückchen Brot mit mir, das ich
    zu bieten habe.“
    Er reichte mir die Hand, ich faßte sie.
    Dann sagte er: „Nun folge mir weiter.“
    Wir nahmen unsere Hüte, und er führte mich durch
    einen Gang in ein Gemach, dessen zwei Fenster gegen Mit-
    tag gingen. Die Geräte waren aus Birkenholz gemacht. Es
    war zum Schlafen und Wohnen eingerichtet.
    Er sprach zu mir: „Das ist das Birkenzimmer und ge-
    hört dir, so lange du da bist. Folge mir wieder weiter.“
    Er führte mich neuerdings durch den Gang in ein Zim-
    mer. Dasselbe war mit braunem Leder überzogen, wie das
    Fach, das er trug, und die Geräte zeigten dasselbe Leder.
    Das Zimmer war gleichfalls zum Wohnen und Schlafen
    bestimmt. An den Wänden hingen zahlreiche Bilder mit
    Pflanzen. Auf einem Tische lagen sehr große Bücher oder
    Mappen, die mit Bändern zu binden waren. Sonst befan-
    den sich auch noch mannigfaltige kleinere Bücher in dem
    Zimmer, dann noch Waffen, und in einer Ecke war etwas
    wie eine Presse.
    Er sagte zu mir: „Das ist das Pflanzenzimmer und mein
    Wohngemach. In demselben kannst du mich besuchen.“
    Nach diesen Worten nahm er das Fach von den Schul-
    tern und legte es auf einen Tisch.
    Dann sagte er: „Folge mir nun wieder weiter.“
    Er führte mich abermals durch den Gang in ein Zimmer,
    das ich als Speisezimmer erkannte. Ein Tisch von braun-
    gewordenem Tannenholze war mit Linnen gedeckt, und es
    standen Speisegeräte für fünf Personen auf ihm. Um den
    Tisch waren Stühle von altem Tannenholze.
    Er sagte zu mir: „Wir werden hier unser Mittagmahl
    verzehren, lege deinen
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