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Der Kuß von Sentze

Der Kuß von Sentze

Titel: Der Kuß von Sentze
Autoren: Adalbert Stifter
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Garten,
    er verbesserte das Waldland und die entfernten Meierhöfe,
    er unterstützte die Bewohner der Gegend, suchte gute
    Volksbücher zu verbreiten und ordnete und bereinigte das
    Schloß. Dem allen gegenüber war es mir ein unangeneh-
    mer Anblick, daß die rote Sentze so verfiel.
    Als ich mich eingerichtet hatte und meinem Vater in
    manchem beistand, sagte er einmal: „Wir müssen doch
    über das Geschehene reden. Wie wir beschlossen haben,
    hast du die Sache ausgeführt. Ich danke zuerst Gott, daß
    er dich wohlbehalten zurückgebracht hat, dann danke ich
    ihm, daß wir an der Tat haben mitwirken können. Die an
    festem Besitze und an Ausbildung hervorragen, müssen
    Säulen des rechtlichen Bestandes sein, je nach den Kräften,
    einige weniger, andere mehr. Wir von Palsentze mehr. Wie
    wir schon an Macht bedeutender sind, und diese Macht auf
    Vereinbarungen, Ausgleichungen und Zusagen ruht, so ha-
    ben wir die Gewähr des Palsentzekusses, die die Heiligkeit
    des gegebenen Wortes noch mehr erhärtet. Und in dem
    gegebenen Worte und dem daraus entsprungenen Rechte
    liegt die Möglichkeit menschlichen Besitzes und menschli-
    cher Reiche. Wenn ein Reich nehmen dürfte, was ihm gut
    ist, dürfte es jeder, und keiner wüßte, ob das Kleinste sein
    ist, und wir wären im Tierstande. Verbessert soll immer
    werden, aber in Vereinbarung aller, wo zu verbessern ist.
    So wirst du auch einmal im Rate wirken, wenn du berufen
    werden wirst.“
    „Ich werde es tun,“ antwortete ich, „wenn ich die Gaben
    habe.“
    „Und das übrige, was wir in unserem Stamme gewünscht
    haben,“ sprach er weiter, „lassen wir ruhen. Du wirst an-
    ders glücklich sein, wie ich mit deiner Mutter glücklich
    gewesen bin, wenn ich auch nicht ursprünglich mein Au-
    genmerk auf sie gerichtet hatte. Wenn du gewählt haben
    wirst, wirst du mir es sagen. Oder hast du gewählt?“
    „Ich habe nicht gewählt, mein Vater,“ antwortete ich,
    „und werde wohl in kurzer Zeit auch noch nicht wählen.“
    „Wie du das für gut hältst, mein Sohn,“ sagte er, „ob-
    wohl ich gerne vor dem Schließen meiner Augen noch das
    Fortblühen unseres Geschlechtes gesehen hätte und mir
    auch die Liebe einer kleinen Nachkommenschaft wohl ge-
    tan hätte.“
    „Du blühest ja selber noch, Vater,“ sagte ich, „und wirst
    blühen, wenn das eingetreten ist, was du jetzt wünschest.“
    „Das steht in Gottes Hand,“ erwiderte er, „es kann sein,
    daß es so ist, es kann sein, daß es auch nicht so ist. Erwar-
    ten wir, was er sendet. Und zum letzten, mein Sohn, daß
    ich auch davon rede — da es zwischen Hiltiburg und dir
    so geworden ist, wie es ist, so wird es notwendig sein, daß
    ihr euch, damit nicht Haß und Feindschaft entstehe, den
    Friedenskuß unseres Stammes gebet. Hiltiburg wird dann
    ihr Wort halten.“
    „Ich gebe gerne dieses Pfand,“ sagte ich, „und werde un-
    verbrüchlich darnach handeln.“
    „Ich weiß es, und so wäre das abgetan,“ entgegnete er,
    „dein Besuch bei Walchon ist durch deinen Feldzug auch
    sehr hinaus geschoben worden.“
    „Er wird mir nicht zürnen“, antwortete ich.
    „Er ist mit allem einverstanden, was geschehen ist“,
    sagte der Vater.
    Und so endete dieses Gespräch.
    Einige Zeit darnach trat ich die Reise zu dem Vetter
    Walchon an.
    Ich fuhr in einem Wagen bis an den bayrischen Wald.
    Dort nahm ich einen Führer, der mein Ränzlein trug, und
    ging auf einem Pfade über die Wasserscheide. Jenseits der-
    selben schickte ich in dem Orte Sonnberg den Führer zu-
    rück, ließ mein Ränzlein da und sagte, daß es geholt werden
    würde. Ich wollte allein zu dem Vetter kommen. Ich ging
    aus der Vertiefung gegen die Höhen empor und gelangte
    endlich in ein Gehege, auf dem ein Trümmerwerk von
    grauen Granitsteinen begann, zwischen denen hie und da
    eine Krüppelföhre stand, bis zuletzt ungeheure, häusergroße
    Granitblöcke lagen und sich rückwärts zu einem Giebel
    emportürmten, hinter dem erst wieder der Wald hinanstieg.
    In ihm standen die schönen Bäume, die gerne auf einem
    solchen Boden gedeihen: Tannen, Fichten, Föhren, Buchen,
    Ahorne, Birken. Mitten in dem Steingetrümmer stand ein
    Haus. Es war aus Holz gezimmert und hatte ein flaches
    Dach, auf welchem wieder graue Steine lagen. Es mochten
    durch lange Zeit Regen und Sonnenschein darauf niederge-
    gangen sein, denn sein Holz war ebenfalls grau geworden.
    Um das Haus war in einiger Entfernung ein Zaun aus Föh-
    renknitteln. Ich ging auf
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